• 1969

    Von der "Gruppe der 16. Etage"

    Mit dem SPD-Wahlsieg von 1969 zogen einige Dutzend junger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erstmals in den Bundestag ein. Etwa zwanzig von ihnen, die sich bereits aus der Juso-Linken und der Parteilinken – dem Frankfurter Kreis – kannten, schlossen sich erstmals als Linke innerhalb der Bundestagsfraktion zusammen. Die Gruppe der 16. Etage, die ihren Namen der Tatsache verdankte, dass ein Gros ihrer Mitglieder auf der 16. Etage des „Langen Eugen“ saß, hatte Großes vor. Nicht nur wollten sie die aus ihrer Sicht allzu autoritär geführte SPD-Fraktion demokratisieren. Vor allem sehnte sich die 16. Etage – wie viele andere junge Linke auch – nach Reformen der als miefig empfundenen CDU-Republik, nach gesellschaftlicher Demokratisierung und sozialistischer Reformpolitik.

    Die 16. Etage atmete durchaus den Geist der Außerparlamentarischen Opposition jener Jahre und fiel mit teils spektakulären politischen Aktionen auf. Die in der Fraktion als Revoluzzer verschrienen Linken beteiligten sich beispielsweise an Solidaritätsaktionen für Befreiungsbewegungen in Spanien, Portugal oder im Trikont. Einige der Abgeordneten wohnten für einige Zeit sogar in einer zur „Abgeordnetenkommune“ stilisierten Wohngemeinschaft, die der Fraktionslinken als Diskussions- und Kommunikationsraum diente. Doch unterschied sich diese „Juso-Lobby“ von den radikaleren Teilen der bundesrepublikanischen Linken durch die Betonung eines linken Pragmatismus.

  • 1972

    über den Leverkusener Kreis

    Mit den Jahren professionalisierte sich der linke Flügel, auch wenn Ideen für ein gemeinsames Büro zunächst verworfen wurden. Im Leverkusener Kreis, wie sich die Fraktionslinke ab 1972 nannte, traten nun themenspezifische Ausschüsse und regelmäßige Sitzungen zur Vorbereitung der Fraktionsarbeit an die Stelle der Sit-ins auf den Fluren des Abgeordnetenhauses und die abendlichen Diskussionen in Bonner Wohngemeinschaften. Als Teil der Parteilinken waren sie auch in den Debatten innerhalb der SPD aktiv beteiligt. So wurden offene Diskussionen über das Verhältnis von Kapitalismus und Reform sowie eine härtere Verpflichtung des Regierungshandels auf Parteitagsbeschlüsse gefordert.

    1972

  • 1980

    zur Parlamentarischen Linken

    Die mit dem Auslaufen des Wachstumskapitalismus und des Reformelans verbundene Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche in den späten 1970er Jahren gingen auch am Leverkusener Kreis nicht spurlos vorbei. Die Enttäuschung über das relative Scheitern weitreichender Reformvorhaben in der sozialliberalen Koalition, aber auch die Konflikte um die Anti-Terror-Gesetze oder den NATO-Doppelbeschluss sorgten für zunehmende Spannungen. Diese entzündeten sich vor allem an der Frage, wie man es mit der Regierung Schmidt halten sollte. Mit dem Ziel, die internen Differenzen zu überwinden und die alte Schlagkraft wieder herzustellen, kam es 1980 zur u.a. von Peter Conradi initiierten Neuformierung der Linken als Parlamentarische Linke. Seit nunmehr 39 Jahren setzen wir uns für sozialdemokratische Herzensangelegenheiten in der SPD-Bundestagsfraktion ein.

Fragend blicken wir zurück…

Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

Die Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion wird 50 Jahre jung. Das ist natürlich ein Grund zu feiern. Und wir dürfen uns im Blick zurück durchaus auf die Schultern klopfen: Als linke Kraft haben wir den sozialdemokratischen Bundesregierungen und Fraktionsspitzen oft genug auf die Finger geklopft, wenn sie ihren Kompass zu verlieren oder bei ehrgeizigen Reformprojekten auf halbem Wege schlapp zu machen drohten. Das gilt für die Hochschulreformen in den 1970ern, die die damaligen Fraktionslinken mit allem Nachdruck begleitet haben. Das gilt auch für die mit dem Namen Björn Engholm verbundene Rettung des BAföG, welches Genscher und Schmidt zum Ende der sozialliberalen Koalition de facto abschaffen wollten. Und aus meiner Zeit als Sprecher der Parlamentarischen Linken fällt mir dabei insbesondere unser Kampf für eine progressive Veränderung von TTIP und CETA ein. Diese Liste ließe sich beliebig fortführen.

Die Parlamentarische Linke ist aber nicht nur wichtiges Korrektiv einer Sozialdemokratie, die hier und da mit Nachdruck an ihre Grundprinzipien erinnert werden muss. Seit der Gründung als „Gruppe der 16. Etage“ im Jahr 1969 gehört es geradezu zur DNA der Fraktionslinken, früher als viele andere über progressive Antworten auf die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen zu diskutieren. Zu den schwierigsten Erfahrungen aller PL-Generationen gehört dabei leider oft auch, dafür zunächst belächelt zu werden, um im Nachhinein doch recht behalten zu müssen. Es waren die jungen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der „Juso-Lobby“, die schon Ende der 1960er Jahre über Möglichkeiten zur Stärkung des Parlaments diskutiert haben – eine bis heute drängende Frage für unsere demokratische Gesellschaft.

Es waren Vertreter des linken Parteiflügels und des Leverkusener Kreises, die in den 1970er Jahren die großen innerparteilichen Diskussionen über die Zukunft linker, sozialdemokratischer Reformpolitik angestoßen haben. Das Berliner Programm von 1989, das viele wichtige Impulse und Ideen zur Bewältigung der drängendsten ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme im 21. Jahrhundert liefert, wäre ohne diese Denkanstöße so nicht möglich gewesen.

Es waren grüne Rote aus den Kreisen der Parlamentarischen Linken wie Michael Müller und Hermann Scheer, die über Jahrzehnte auf die Notwendigkeit hingewiesen haben, die ökologische und die soziale Frage zusammenzudenken. Und auch in den für einen linken Sozialdemokraten wahrlich nicht einfachen späten 1990er und 2000er Jahren hat die Fraktionslinke so gut es ging Kurs gehalten: Einer allzu marktgläubigen Hegemonie zum Trotz hat die PL auf Initiative u.a. von Ernst-Dieter Rossmann wichtige Diskussionen über ursozialdemokratische Themen wie das Genossenschaftswesen, solidarische Sozialstaatsmodelle, eine effektive Finanzmarktregulierung und linke Gegenkonzepte zum Mantra der vermeintlich alternativlosen Austerität geführt. Die PL war und ist ein inhaltlicher Motor. Und – das sei einmal am Rande angemerkt – wer in aktuelle Papiere anderer Strömungen unserer Fraktion hineinschaut, wird feststellen: Da steckt ganz schön viel PL drin! Auch das ist ein Grund zur Freude.

Festbeiträge zum 50-jährigen Jubiläum