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Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Party. Sie unterhalten sich mit mehreren Gästen über den Urlaub, das Wetter, die politische Lage. Im Laufe des Gesprächs gibt sich eine Gesprächspartnerin als Prostituierte zu erkennen. Ganz ehrlich: Was wäre Ihre spontane Reaktion auf ein solches Outing? Wären Sie noch unbefangen oder würden Sie die Frau plötzlich mit anderen Augen sehen?

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat in der vergangenen Woche eine ebenso mutige wie wichtige und richtige Grundsatzentscheidung getroffen. Sie hat sich gegen die Kriminalisierung von Prostitution ausgesprochen – und damit die Sexarbeit gemeint, die auf Einvernehmlichkeit beruht. Sie hat ausdrücklich nicht die Straffreiheit für den Menschenhandel zu sexuellen Zwecken gefordert. Es ist nicht nur eine interne Grundsatzentscheidung über die künftige Linie der Menschenrechtsorganisation. Es ist vor allem eine Grundsatzentscheidung, von der für SexarbeiterInnen ein starkes Signal ausgeht: Wir nehmen euch ernst. Wir respektieren, dass ihr die Sexarbeit – zumindest vorerst – für alternativlos haltet. Uns geht es nicht darum, den käuflichen Sex moralisch zu verurteilen, sondern uns geht es um die Stärkung eurer (Menschen-)Rechte. Und wir erkennen an, dass eines eurer größten Probleme die tagtägliche gesellschaftliche Ächtung ist.

Gegen die AI-Entscheidung hat sich in Windeseile ein Bündnis formiert, das in jeder Form der Prostitution einen Verstoß gegen die Menschen- und gegen die Frauenrechte sieht. Dieses Bündnis ist vor allem laut, empört sich, argumentiert wenig sachlich. Es moralisiert, ideologisiert. Bezeichnenderweise sind unter den Kritikern keine Prostituierten, die mit dieser Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Stattdessen Hollywood-Schauspielerinnen und andere, die von sich glauben, Feministinnen zu sein, Sexkauf-Gegnerinnen. Die Empörungsfront gibt sich selbstbewusst: Wir wissen, was gut für euch ist – und was böse. Denn wir sind die Guten und wer anderes denkt, ist böse. Damit kann man sich eine Weile gut fühlen, den Prostituierten hilft es wenig.

Trotz des Widerstandes bleibt AI dabei: Sexarbeit zu entkriminalisieren, bedeute keineswegs, die strafrechtlichen Sanktionen für den Menschenhandel aufzuheben. Es gebe keinerlei Belege dafür, dass eine Entkriminalisierung den Menschenhandel befördere. Genauso wie umgekehrt der Beweis fehlt, dass die Kriminalisierung durch ein Sexkaufverbot den Menschenhandel eindämmt und den Prostituierten ein besseres Leben garantiert. Das zeigt eine hierzulande noch weithin unbekannte Auswertung des seit 1998 geltenden Sexkaufverbots in Schweden. Die beiden Wissenschaftlerinnen Petra Östergren und Susanne Dodillet kommen nach Auswertung zahlreicher Studien (darunter auch Regierungsexpertisen) und Befragungen von Prostituierten zu dem Ergebnis: Für die Behauptung, seit Einführung des sogenannten Schwedischen Modells seien die Prostitution sowie der Menschenhandel dort drastisch zurückgegangen, gibt es keine gesicherten Statistiken.

Was die KundInnen betrifft, scheinen diese seit Einführung des Sexkaufverbots weniger gewillt, in Prozessen gegen potenzielle MenschenhändlerInnen und ZuhälterInnen als Zeugen auszusagen, da sie sich selbst eines Verbrechens schuldig gemacht haben. Gleichzeitig schreckt das Gesetz Freier nach deren eigenen Angaben keineswegs davon ab, zu Prostituierten zu gehen. Vor allem auf die Straßenprostitution hat sich das schwedische Gesetz negativ ausgewirkt. SexarbeiterInnen halten sich jetzt in versteckten Gebieten auf; sie müssen sich schneller für einen Freier entscheiden, um die Kunden davor zu schützen, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Dadurch wird die Arbeit prekärer und gefährlicher. Sie suchen auch seltener Hilfe bei der Polizei, weil sie sich von dieser gejagt und nicht beschützt fühlen. Die häufigste und schwerwiegendste Beschwerde von den Prostituierten selbst aber war, dass sie deutlich mehr stigmatisiert würden, seit das Sexkaufverbot in Kraft getreten ist.

Das geplante Prostituiertenschutzgesetz in Deutschland soll kein Gesetz sein, das kriminalisiert und Vorurteile nährt, das die Frauen und Männer in der Prostitution in den Untergrund treibt, das die SexarbeiterInnen davon fernhält, sich Hilfe zu suchen. Genau aus diesem Grund haben wir das von CDU/CSU geforderte Mindestalter von 21 und die medizinischen Zwangsuntersuchungen für Prostituierte von vornherein abgelehnt. Wir wollen ein Gesetz, das der Sexarbeit einen regulierten Rahmen gibt und so für bessere Arbeitsbedingungen sorgt. Das die Prostituierten schützt und unterstützt. Natürlich setzt das voraus, dass die SexarbeiterInnen selbst Vertrauen in das Gesetz haben können. Das können sie allerdings nur, wenn sie sich nicht stigmatisiert fühlen, sondern in ihrer Lebenssituation ernst genommen.

All denjenigen, die jetzt nach Verschärfungen rufen und die die Kriminalisierung für das erste Mittel der Wahl halten, sei gesagt: Wer den Anspruch erhebt, Prostituierte schützen zu wollen, sollte sich nicht in ideologischen Kategorien bewegen, sondern mit der Realität auseinandersetzen. Die beiden Wissenschaftlerinnen Östergren und Dodillet haben es so auf den Punkt gebracht: „Wenn es um politische Strategien für den Umgang mit Prostitution geht, sollte dieser vor allem auf Wissen beruhen und nicht auf moralischen Bedenken oder radikalfeministischer Ideologie.“

Dieser Text ist außerdem am 17.08.2015 als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau erschienen.