Wir erleben bedrohliche Zeiten, in denen das Militärische stärker in den Vordergrund rückt. Atomare Drohkulissen haben wieder Konjunktur, nicht erst seit der Krise um Nordkorea. Während der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Krise in der Ostukraine schwadronierten russische Politiker und Diplomaten über nukleare Einsatzszenarien, das ukrainische Parlament debattierte ernsthaft über die atomare Wiederbewaffnung und die Verlegung von US-Atomwaffen an die russische Grenze wurde erwogen.
Eigentlich hätte das Budapest-Memorandum von 1994 genau das verhindern sollen. Mit der Rückführung der Atomwaffen nach Moskau wurde vertraglich die Unverletzlichkeit der Grenzen garantiert. Das Dokument verlor mit der militärischen Eroberung der Krim seinen Sinn. Doch die Folgen werden wir in Europa noch lange zu spüren bekommen.
Zweifellos ist die Situation auf der koreanischen Halbinsel derzeit weit bedrohlicher. Nordkorea hat seit Jahren mit Raketentests und unterirdischen Atomversuchen Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen verletzt. Es gibt zu früher einen Unterschied: Die Signale aus Washington sind widersprüchlich und missverständlich. Einmal setzt Präsident Donald Trump einen Flugzeugträgerverband in Marsch, am anderen Tag twittert er, es wäre ihm eine Ehre Kim Jong Un zu treffen.
Zugleich kämpft Trump einen Krieg der Worte. „Je stärker die Wortwahl, desto stärker die Spannungen, desto wahrscheinlicher ein Zwischenfall“, sagt der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry, der mit Pjöngjang 1994 eine Vereinbarung über das Nuklearprogramm ausgehandelt hatte. Am Ende scheiterte des Übereinkommen nicht allein an der nordkoreanischen Seite. Der US-Kongress widersetzte sich den Verpflichtungen und Präsident George W. Bush schaltete mit der „Achse des Bösen“ wieder auf Konfrontation.
Seitdem hat Nordkorea deutliche Fortschritte bei der Atomrüstung wie der Raketentechnik gemacht. Aggressivität, Menschenverachtung und Rücksichtslosigkeit des Regimes sind gewachsen. Gleichwohl bleiben weiterhin Raum und Zeit für Diplomatie und Vertrauensbildung, um zumindest die Raketenkrise einzugrenzen.
Hysterie ist kein guter Ratgeber. Die Auswertungen der Raketenstarts belegen, weder die Behauptung aus Washington und Tokio, Nordkorea besitze heute eine funktionsfähige und eigenständige Langstreckenwaffe noch die Befürchtung, es gäbe sogar U-Boot-gestützte Trägersysteme zum Transport entsprechend kleiner Nuklearsprengköpfe.
Robert Schmucker, Professor für Raumfahrttechnik an der TU München, stellte vor wenigen Tagen zu Recht fest, dass Nordkorea Trägersysteme verschossen habe, „die sie woanders her beschafft haben“. Auch das ist bedrohlich genug, aber kein Grund für militärische Reaktionen. Für Gespräche stehen weiter mehrere Formate zur Verfügung, an deren Ende, vergleichbar mit der Beendigung der iranischen Atomkrise, eine bilaterale Verständigung zwischen den USA und Nordkorea stehen muss.
Die Vorstellung, es liege allein in der Hand Pekings, die Dinge zu richten, sind falsch. Zwar hat das Nachbarland den größten Austausch bei Handel, Dienstleistungen und Kontakten. Dennoch sind weitere (Konflikt-)Akteure am Tisch nötig: Die Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche wäre denkbar, aber auch die Einbeziehung der südostasiatischen Staatengruppe (Asean). Diese Regionalorganisation besiegelte mit dem Bangkok-Vertrag eine atomwaffenfreie Zone in Südostasien; übrigens das einzige Rüstungskontrollabkommen für die Region überhaupt. Vorteilhaft wäre zudem, dass mit Vietnam ein Land den Vorsitz innehat, dass seit dem Machtwechsel in Pjöngjang dort stärker gehört wird. Die Europäische Union (EU) könnte in allen Fällen assistieren, selbst wenn unser Einfluss begrenzt bleibt.
Bei der erwähnten Verabredung mit der Clinton-Administration sollte sich Europa mit Wissen und Geld am Aufbau einer nicht waffenfähigen nuklearen Infrastruktur in Nordkorea beteiligen. Unter Einbeziehung deutscher Politiker fanden Aussöhnungsgespräche unterhalb offizieller Ebenen statt und wir haben, nicht zuletzt wegen unserer eigenen Geschichte, noch Zugänge in Pjöngjang.
In Zeiten, in den das Kriegerische wieder Vorrang bekommt, benötigen wir Diplomatie. Deutschland kann mit europäischen Partnern mehr tun, als bisher behauptet. Der Konflikt auf der koreanischen Halbinsel scheint geografisch weit entfernt, aber im Konfliktfall wird er auch uns beschäftigen. Wir können gute Dienste leisten: nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Dieser Artikel erschien erstmals am 16.8.2017 in der Frankfurter Rundschau.