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Die deutsche Politik und Öffentlichkeit streiten wieder einmal über den richtigen Umgang mit Saudi-Arabien. Die einen sehen im wahhabitischen Königshaus nach wie vor einen unverzichtbaren Partner, der zur Regelung von Regionalkonflikten und zur Stabilisierung in der Region gebraucht wird und mit dem man zudem lukrative (Rüstungs-)Geschäfte machen kann. Die anderen sehen in Riad einen gefährlichen Exporteur ultrakonservativer islamischer Ideologie, der die Menschenrechte mit Füßen tritt und maßgebliche Mitschuld an der Destabilisierung der Region trägt.

Die Herrscher in Riad wiederum fühlen sich, umringt von Kriegen und Krisenherden, existenziell bedroht. Keiner weiß, wie viele Saudis tatsächlich mit dem „Islamischen Staat“ und dessen radikaler Ideologie sympathisieren, die sich im Übrigen nur unwesentlich von der saudischen Staatsdoktrin des Wahhabismus unterscheidet. Nun rächt sich, dass das saudische Königshaus jeden Konflikt in der Region primär unter dem iranisch-saudischen Machtkampf betrachtet. Die damit verbundene Sorge, dass sich der „schiitische Halbmond“ in einen Vollmond verwandeln könnte, führt dazu, dass der Aufschwung radikaler islamistischer Gruppen in „Stellvertreterkriegen“ aller Art billigend in Kauf genommen wird.

Saudi-Arabien droht jedoch weiter in die Defensive zu geraten. Der von ihm mitfinanzierte Bürgerkrieg in Syrien ist ihm ebenso entglitten wie seine Versuche, die sunnitischen Stämme im Irak gegen den „Islamischen Staat“ zu einen. Und im Jemen hat der von den Saudis unterstütze Stellvertreterkrieg mit den Huthi-Milizen für eine humanitäre Katastrophe gesorgt, die der in Syrien in nichts nachsteht.

Der Rückzug der USA aus der Region unter Obama wird von den politischen Eliten in Saudi Arabien als Verrat empfunden. Hinzu kommt, dass die Vereinigten Staaten aufgrund der Schieferölrevolution vom Importeur zum Exporteur von Rohöl geworden sind. Der damit einhergehende aggressive Preiskrieg hat zu einem radikalen Ölpreisverfall geführt, der auch Riad zu schaffen macht. Und zu allem Überfluss drängt nach dem iranischen Atomabkommen nun auch Teheran als Ölanbieter wieder auf die Märkte. Nicht nur die deutsche Wirtschaft ist in froher Erwartung angesichts von anstehenden Milliardengeschäften mit Teheran.

Zwischen Hofieren und Liebedienerei liegt dabei ein schmaler Grat, wie der Besuch des iranischen Präsidenten Hassan Ruhani in Rom zeigte, als die italienische Regierung in vorauseilendem Gehorsam die unbekleideten römischen Statuen verhüllen ließ, um den künftigen Geschäftspartner nicht in Kalamitäten zu bringen. Dabei dürfte der eine oder andere „antike Nackte“ auch in persischen Museen zu finden sein.

Bei allen berechtigten politischen und wirtschaftlichen Interessen darf auch die Menschenrechtslage im Iran nicht verschwiegen werden, der allein 2015 über 700 Menschen hinrichten ließ. Von Saudi-Arabien wird der Iran – nicht ganz zu Unrecht – als expansive Macht und großer strategischer Gewinner des letzten Jahrzehnts empfunden. Saudi-Arabien handelt also nicht aus einer Position wirtschaftlicher und politischer Stärke, sondern aus Schwäche heraus. Dies wiederum macht das Regime am Golf noch unberechenbarer und gefährlicher.

Macht Deutschland angesichts der Menschenrechtslage in Saudi-Arabien zu viele Geschäfte mit einem Unrechtsstaat? Diese Frage lässt sich nicht ohne weiteres mit einem Ja oder Nein beantworten. Im Gegensatz zu unseren Partnern Frankreich, Großbritannien und USA, die sich in Riad die Klinke in die Hand geben, ist Deutschland durchaus zurückhaltend und spart auch nicht mit Kritik. Dennoch ist es notwendig, die Politik gegenüber Riad auf den Prüfstand stellen. Wir können nicht länger die Augen davor verschließen, dass Saudi-Arabien ein schwieriger Partner ist, der maßgeblich für die weltweite Verbreitung radikal-islamischen Gedankenguts in Form mit verantwortlich ist. Das Land ist nur noch insofern ein „Stabilitätsanker“, als dass ein Zusammenbruch des saudischen Königshauses für die Region und für Europa unübersehbare Folgen hätte.

Saudi-Arabien ist ebenso Teil der Lösung wie Teil des Problems – genauso wie der Iran, Russland und die Türkei. Sie alle sind „schwierige Partner“, die man gleichwohl zur Befriedung des mörderischen Krieges in Syrien braucht. Deshalb muss man mit ihnen reden – und zwar im Sinne von kritisch auseinandersetzen und nicht nach dem Mund reden. Letzteres hat der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer auf seiner jüngsten Moskaureise eindrücklich demonstriert. Er entblödete sich nicht, sich bei Putin artig für die „noble Geste“ zu bedanken, sich nicht in die europäische Flüchtlingspolitik einmischen zu wollen, wohl wissend, dass Moskau mit seiner kriegerischen und rücksichtslosen Syrienpolitik maßgeblich mitverantwortlich für die Flüchtlingsströme aus Syrien ist.

Langfristiges Ziel des Westens muss es sein, im Nahen und Mittleren Osten demokratisch orientierte zivilgesellschaftliche Kräfte zu fördern – die selbst in Saudi-Arabien in Nischen vorhanden sind – und den Aufbau legitimer und funktionierender staatlicher Strukturen zu unterstützen. Diese Aufgabe wird voraussichtlich Jahrzehnte in Anspruch nehmen und immer wieder durch Rückschläge gekennzeichnet und bedroht sein. Doch die Alternativen des Nahen und Mittleren Ostens heißen nicht sunnitischer oder schiitischer Islam, sondern Unterdrückung oder demokratische Selbstbestimmung.

Dieser Artikel ist am 14. Februar 2016 als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau erschienen.

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Dreizehn Dollar und fünfzig Cent: pro Kopf und Monat. Das ist das, was ein syrischer Flüchtling im Libanon als Nahrungsmittelhilfe erhält. Die Summe ist zum dritten Mal gekürzt, reicht nicht aus, um satt zu werden. Die Kinder müssen auf den Feldern arbeiten, damit sich die Familien ausreichend versorgen können. Manche gehen seit Jahren nicht zur Schule. Familien leiden aktuell und verlieren jede Zukunftsperspektive. In Jordanien, in der Türkei und im Nordirak sieht die Lage leider nicht sehr anders aus. Die Lebenssituation ist erbärmlich und die Weltgemeinschaft versagt auf ganzer Linie bei der Notwendigkeit der Bereitstellung ausreichender Hilfe.

Die intensive Debatte über die Flüchtlingspolitik und die daraus abgeleiteten notwendigen Maßnahmen in Deutschland sind gut, und wir sind hier auf dem richtigen Weg. Das Engagement der Weltgemeinschaft für die syrischen Flüchtlinge vor Ort steht aber in keinem Verhältnis dazu. Deshalb müssen wir unseren Blick wieder stärker dem Konflikt in Syrien zuwenden und dringend die humanitäre Lage der Flüchtlinge in den syrischen Nachbarstaaten deutlich verbessern. Falls wir das nicht tun, wird die Zahl der Flüchtlinge eher zu- als abnehmen. Die notwendigen Ressourcen sind in den Herkunftsregionen viel effektiver einzusetzen als in Deutschland und Europa.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, der UNHCR, veranschlagt als notwendige humanitäre Hilfe für alle sechzig Millionen Flüchtlinge weltweit eine Summe von etwa zwanzig Milliarden Dollar. Das ist eine Menge, aber weniger als der Verteidigungsetat Deutschlands. Für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Herkunftsregion, in den Nachbarländern Libanon, Jordanien, Türkei und im Nordirak veranschlagt UNHCR gut acht Milliarden Dollar. Davon ist zurzeit nicht mal ein Drittel finanziert. Es fehlen also etwa fünf Milliarden Dollar, die die Weltgemeinschaft umgehend zur Verfügung stellen muss.

Die Auswirkungen fehlender humanitärer Hilfe sind offensichtlich und klar. Wir reden mittlerweile über zwölf Millionen syrische Flüchtlinge, davon befinden sich knapp fünf Millionen in den Nachbarländern. Sehr viele dieser Menschen sitzen im wahrsten Sinne des Wortes auf gepackten Koffern. In der Bekaa-Ebene im Libanon leben die Menschen in provisorisch zusammengenagelten Unterkünften. Der Libanon verweigert den Syrern geordnete Flüchtlingscamps.

Zehnjährige Kinder sind zum Teil noch nie in ihrem Leben zur Schule gegangen. Aus Sicht der Familien droht eine ganze Generation ohne Bildung. Das Trinkwasser ist schlecht, die Familien versinken im Müll, es droht ein bitterkalter Winter ohne entsprechenden Schutz. Kinder und Alte könnten erfrieren.

Niemand kann genau sagen, wann sich Familien zur Flucht nach Europa entscheiden. Niemand kann genau sagen, wann sich eine Dynamik entwickelt, die Zehntausende oder Hunderttausende in kurzer Zeit dazu bringt, sich auf den Weg zu machen. Wer jedoch mit den Familien vor Ort gesprochen hat, dem ist glasklar, dass die Welt zurzeit alles macht, um die Motivation zu erhöhen, dass sich sehr viele Flüchtlinge in Richtung Europa in Bewegung setzen.

Wir streiten uns in Deutschland darüber, ob ein Taschengeld von 143 Euro bezahlt werden soll. Mit 30 Euro könnten wir die Ernährung eines syrischen Flüchtlings im Libanon in ausreichendem Maße sicherstellen. Deutschland leistet viel. Wir sind unter den Hauptgebern der humanitären Hilfe und der Übergangshilfe in den syrischen Nachbarländern.

Deutschland hat die humanitäre Hilfe auf eine halbe Milliarde Euro gesteigert. Im Zuge des Flüchtlingspakets legt Deutschland noch einmal 400 Millionen drauf. Das gibt uns die Chance für neue diplomatische Initiativen, um die skandalöse und unsinnige Unterfinanzierung der Hilfsprogramme der Vereinten Nationen (UN) endlich zu beenden.

Die Völkerwanderung, von der einige jetzt leider leichtfertig reden, hat ganz sicher noch nicht eingesetzt. Sie droht allerdings dann, wenn wir langfristig Entwicklungshilfe immer noch als Almosen verstehen und Handelspolitik nur im Sinne der entwickelten Länder organisieren. Die Welt wächst weiter zusammen, Distanzen werden überwindbarer und Informationen sind in Echtzeit rund um den Globus bis in den hintersten Slum abrufbar. Wenn Menschen in anderen Ländern der Welt keine Perspektive haben, werden sie sich – nicht alle, aber viele – auf den Weg machen. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir echte Teilhabe organisieren und eine faire Handels- und Rohstoffpolitik entwickeln.

Was wir zurzeit erleben, sind insbesondere zwei Fluchtbewegungen aus Südosteuropa und Syrien. So sehr uns die gestiegenen Zahlen überrascht haben, ist nicht klar, wie lange die Zahlen auf diesem Niveau bleiben. Der Schlüssel in Südosteuropa liegt in einer ökonomischen und sozialen Perspektive, die nur über eine Beitrittsperspektive in die Europäische Union (EU) erreicht werden kann.

Rund um Syrien geht es schlichtweg um die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel, um das Ausmaß der Zuwanderung nach Europa abzufedern. Die Vereinten Nationen und die Hilfsorganisationen leisten eine hervorragende Arbeit. Wir sollten sie ausreichend mit Mitteln ausstatten und den Menschen in den Herkunftsregionen helfen.

Dieser Artikel ist am 16. September 2015 als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau erschienen.