Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht. Es ist Ausdruck unserer Geschichte. Es zeugt von grundgesetzlich verbriefter Solidarität und Menschlichkeit. Jeder Versuch, es in Abrede zu stellen, ist deshalb zugleich ein Angriff auf die Menschlichkeit.
Zu Recht erinnerte uns Bundespräsident Gauck erst kürzlich daran, dass unsere deutsche Geschichte auch durch Flucht geprägt ist: Unzählige Deutsche haben in der Nazizeit das Land verlassen wie der frühere Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Willy Brandt. Auch viele Juden mussten fliehen, um der Vernichtung zu entkommen. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs waren Millionen Deutsche ebenfalls auf der Flucht. Viele Familiengeschichten sind durch solch leidvolle Erfahrungen geprägt. Vielleicht haben auch deshalb heutzutage viele Menschen ein offenes Herz: Sie packen an, helfen mit, um den Geflüchteten ein würdevolles Willkommen zu bereiten.
Aber die bundesweit rasant steigende Zahl an Überfällen, Angriffen und Anschlägen auf geflüchtete Menschen und auf ihre Unterkünfte bereitet mir Sorge. Diese Bilder wecken ungute Erinnerungen an die finsteren Zeiten der 1990er Jahre. Auch die politische Rhetorik erinnert an diese Zeit. Den damaligen gewalttätigen Übergriffen ging eine harte populistische Auseinandersetzung um das Asylrecht voraus. Heute finden sich wieder Parolen wie „Das Boot ist voll“ und Begriffe wie „Asylantenströme“, „-schwemme“ oder wahlweise „-welle“ unter einschlägigen Rechtsradikalen, Vertretern der AfD, aber auch bei Politikern der Union wieder.
Dabei haben wir Politiker die Aufgabe, eine klare Haltung gegen Menschenfeindlichkeit einzunehmen. Es ist unsere Aufgabe, die Gesellschaft zusammenzuführen und nicht zu spalten. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Hort Seehofer fordert jedoch, „massenhaften Asylmissbrauch“ einzudämmen. Seine Begleitmusik: Kürzungen in der Versorgung von Asylsuchenden und die Bildung von Lagern je nach Herkunftsregionen der Asylsuchenden. „Massenhafter Asylmissbrauch“ – dieser Ausdruck ist aber so falsch wie gefährlich. Denn er suggeriert zweierlei: erstens, dass zu viele Menschen Asyl in Deutschland suchten, und zweitens, dass nicht jeder Mensch das Recht auf einen Asylantrag habe.
Zum Begriff der „Masse“: Aktuell befinden sich weltweit rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, Hunger und schlicht aus Not. Dies ist die größte Flüchtlingskrise seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Von diesen 60 Millionen Schutzsuchenden kamen 2014 etwa 200.000 Menschen nach Deutschland, also 0,3 Prozent. Das sollte dieses Land überfordern?
Und wie steht’s um die Anerkennung? Die bereinigte Schutzquote liegt bei ca. 50 Prozent, wenn man die einbezieht, deren Asylantrag zwar abgelehnt wurde, die aber aus anderen Gründen bleiben dürfen oder nicht abgeschoben werden. Dies bedeutet, jeder zweite Antragsteller bekommt am Ende irgendeine Form von Bleiberecht. Wer nun einwendet, dass die Anerkennungsquote für Asylsuchende aus dem Balkan bei unter 2 Prozent liegt, dem empfehle ich einen Blick auf unsere europäischen Nachbarstaaten. In Frankreich, Belgien, Dänemark und anderen EU-Ländern werden Roma, die einen Großteil der Asylbewerber aus dem Balkan bilden, sehr wohl als Asylsuchende anerkannt. Sie gelten dort nachvollziehbar als gruppenspezifisch Verfolgte. Daran lässt sich sehr leicht ablesen, dass die Frage, wer politisch verfolgt ist, eine Frage der Deutung und Auslegung ist.
Wer nun aber an die Notunterkünfte in Turnhallen, an die Zeltstädte und Containerdörfer denkt und meint, wir seien am Ende unserer Kapazitäten, dem rufe ich zu: Dies sind nur die sichtbaren Ergebnisse einer kurzsichtigen Politik der letzten Jahre. Wir sind eine starke Volkswirtschaft, und wir können und werden noch mehr leisten.
Der Begriff „Asylmissbrauch“ geht aber noch aus einem anderen Grund fehl: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, einen Antrag auf Asyl zu stellen, und darauf, dass sein Antrag geprüft wird. Die Bewilligung von Asyl erfolgt nach klaren Rechtsvorschriften. Erfüllt ein Mensch diese Richtlinien, erhält er oder sie ein Aufenthaltsrecht. Erfüllt ein Mensch die Kriterien nicht, so erhält er oder sie kein Asyl. Und kann es auch logischerweise nicht missbrauchen. Kurzum: Der Begriff des Asylmissbrauchs ist absurd. Schließlich werfen wir Studierenden ja auch nicht vor, „BAföG-Missbrauch“ zu betreiben, wenn sie unberechtigterweise einen BAföG-Antrag stellen.
Die Formulierung eines angeblichen „massenhaften Asylmissbrauchs“ ist aber vor allem deshalb so falsch und gefährlich, weil sie suggeriert, dass Menschen, die hier Asyl suchen, kriminell handeln. Damit wird ein Nährboden für Vorurteile und Stereotype geschaffen. Auf diesem Nährboden wachsen Aggressionen, im schlimmsten Fall Übergriffe und eine gesteigerte Akzeptanz für diese Gewalt gegen Menschen. Dieser Ausdruck ist entmenschlicht, er bedient gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und damit rassistisch begründete Denk- und Handlungsmuster. Herr Seehofer und seine Parteifreunde sollten ihn nicht mehr verwenden.
Dieser Artikel erschien am 10. August 2015 als Gastbeitrag auf Zeit Online.