Diskussionsabend: Zerbricht Europa?

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Die Debatte um Griechenland hat die Defizite der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion schonungslos offen gelegt. Fehlender Reformeifer, der Druck der Austeritätspolitik sowie ein akuter Mangel an wirtschaftspolitischer Koordination haben nicht nur den Menschen in Griechenland zugesetzt, sondern belasten die Europäische Union insgesamt. Gleichzeitig wird in der Flüchtlingspolitik offenbar: Die Mitgliedsstaaten fühlen sich alleine überfordert, sind aber gemeinsam nicht hinreichend handlungsfähig. So stehen plötzlich Errungenschaften Europas wie der Anspruch auf eine humane Flüchtlingspolitik oder offene Binnengrenzen zur Disposition. Die Parlamentarische Linke hatte angesichts der aktuellen Situation am 5. November dazu eingeladen, über die Zukunft des europäischen Projektes zu diskutieren.

Zu Gast waren Sprecher der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament, Udo Bullmann MdEP sowie Joachim Schuster MdEP, Berichterstatter zum Thema Freihandel. Wichtige Diskussionsbeiträge lieferten u.a. Gesine Schwan, ehemalige Präsidentin der Europa-Universität Viadrina und Heidemarie Wieczorek-Zeul, langjährige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Udo Bullmann stellte die Frage nach europäischer Politikfähigkeit oder angesichts der Banken- und Finanzkrise. Statt Dogmen von Kürzungen staatlicher Leistungen zu folgen, solle man als Produktionsfaktor nicht nur die Arbeitskosten berücksichtigen, sondern auch die Qualität und Bildung und Infrastruktur. Stattdessen sei die öffentliche Investitionsquote in Europa von 6,7% im Jahr 2007 auf inzwischen 1,9% gesunken. Joachim Schuster beklagte das zu späte Eingreifen der EU. Europapolitik solle von den Mitgliedsländern nicht als Teil der internationalen Politik verstanden werden, sondern auch als Teil der nationalen Politik. Er verwies darauf, dass allein durch Steuerschlupflöcher in Luxemburg der Union 70 Mrd. Euro Steuereinnahmen verloren gingen.

Tenor der Diskussionsbeiträge war entsprechend, dass man den aktuellen Herausforderungen nicht durch Sparhaushalte begegnen könne. Es sei unumgänglich, zusätzliche Mittel zu mobilisieren und zwar durch eine stärkere steuerliche Heranziehung hoher Einkommen, Kapitalerträge und Erbschaften. Gesine Schwan wies darauf hin, dass vagabundierendes Kapital keine Anlage finde und deshalb die Spekulation anheize, während denen das Geld fehle, die es für die Deckung des täglichen Bedarfes brauchen. Eine gemeinsame europäische Steuerpolitik sei deshalb dringend erforderlich mit dem Ziel, die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter aufgehen zu lassen.

Neben einer stärkeren Koordinierung der Steuer- und Finanzpolitik in Europa sei auch der Widerstand gegen die Zerstörung der Arbeitsmarktordnung in den Ländern Südeuropas wichtig, brachte Dierk Hirschel von ver.di in die Diskussion ein. Heidemarie Wieczorek-Zeul hob die Bedeutung des Euro und der Europäischen Union als historische Errungenschaft hervor. Es könne keine Alternative sein, auf dem eingeschlagenen Weg wieder zurück in die Nationalstaatlichkeit zu gehen. Die Veranstaltung endete mit einem Appell von Joachim Schuster, immer zu berücksichtigen, wie sich die eigenen Wünsche und Bedürfnisse aus der Perspektive der Partner darstellen und bewertet werden. Nur so könne ein Zerbrechen Europas verhindert werden.