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Diese Woche haben wir über Potenziale und Gefahren der Sozialen Plattformen gesprochen und darüber, wie wir die Plattformen in Zukunft besser regulieren können. Einst wurde in den sozialen Medien vor allem das Potenzial für die Demokratisierung der Öffentlichkeit gesehen. Nun werden Stimmen lauter, die eine Demokratisierung der sozialen Medien verlangen. Weltweit werden Maßnahmen getroffen, um diese besser zu regulieren.

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Anlässlich der heutigen Amtseinführung Joe Bidens als neuer US-Präsident

Der 20. Januar ist traditionell ein Festtag der US-amerikanischen Demokratie. Alle vier Jahre wird an diesem Datum die Amtseinführung des Gewinners bzw. der Gewinnerin der im November zuvor durchgeführten Präsidentschaftswahlen zelebriert. Durch die Amtseinführung wird Akzeptanz des Ausgangs freier und fairer Wahlen zum Ausdruck gebracht und die friedliche Machtübergabe vollzogen. Dies sind Kernelemente der US-amerikanischen Demokratie und normalerweise eine Selbstverständlichkeit. Die Falschbehauptungen Donald Trumps hinsichtlich des klaren Wahlergebnisses und die gezielt gesäte antidemokratische Stimmung haben in den vergangenen Wochen und Monaten jedoch ein Klima bereitet, das den Angriff auf das Kapitol am 6. Januar nicht nur möglich gemacht, sondern aktiv gefördert hat. Die Bilder dieses Aktes der Verachtung demokratischer Grundregeln lassen uns an diesem feierlichen Tag daher nicht nur mit Freude, sondern auch mit Sorge über den Atlantik blicken. Dennoch wissen wir natürlich um die Stärke der durch ihre lange Tradition gefestigte US-amerikanischen Demokratie.

Die Herausforderungen sind gigantisch

Trotz der durch das destruktive Verhalten Donald Trumps geprägten und entsprechend komplizierten Übergangsphase werden sich der neue Präsident Joe Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris nach dem Motto „hit the ground running“ unmittelbar an die Arbeit machen müssen. Die Herausforderungen, vor denen das neue Team steht, sind gigantisch. Das akuteste Thema ist sicherlich die Bewältigung der Corona-Pandemie, die in den USA besonders dramatisch wütet. Jenseits der bedrückenden Zahl an Infizierten und Verstorbenen haben viele US-Bürgerinnen und US-Bürger aufgrund der Wirtschaftskrise ihre Arbeit verloren. Die nur in geringem Maße ausgeprägten sozialen Sicherheitsnetze können die dadurch entstandenen finanziellen Schäden privater Haushalte nicht wirkmächtig abfedern. Auf diese Weise droht die Corona-Pandemie die bereits jetzt beachtliche sozio-ökonomische Ungleichheit innerhalb der USA noch weiter zu verschärfen.

Gleichzeitig sehen sich Joe Biden und Kamala Harris auch anderen Spaltungstendenzen der US-amerikanischen Gesellschaft gegenüber – wie bspw. hinsichtlich der Themen Rechtspopulismus und Rassismus. Nach vier Jahren der Trump-Präsidentschaft sind die USA enorm polarisiert und die Aufgabe, das Land wieder zu einen, scheint eine Mammutarbeit. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass die Existenz des Trumpismus mit der Amtszeit Donald Trumps am heutigen Tage endet. Ob diese Aufgabe gelingen kann, wird sich aber auch maßgeblich dadurch entscheiden, welchen Weg die Republikaner einschlagen. Eine Demokratie braucht loyale Demokratinnen und Demokraten, die sich aktiv für sie einsetzen. Aus diesem Grund ist eine entschlossene Wiederkehr der GOP zu den demokratischen Gepflogenheiten essenziell für die Stabilität der US-Demokratie insgesamt.

Neben diesen innenpolitischen Themen sind auch die internationalen Herausforderungen für die neue US-Administration beachtlich. Nach vier Jahren des nationalistischen und protektionistischen America-First-Kurses sind die internationalen Erwartungen an eine aktivere und multilateral ausgerichtete US-Außenpolitik groß. Eine erneute Stärkung des in den vergangenen Jahren dramatisch geschwächten Rüstungskontrollregimes bspw. wird nur mit den USA effektiv gelingen. Das gilt ebenso mit Blick auf die multilaterale Zusammenarbeit als zentralem Ansatz zur Lösung internationaler Aufgaben und Probleme, wie u.a. zur gemeinsamen Bekämpfung des Klimawandels. Die Ankündigung Bidens, dem Pariser Klimaabkommen bereits am ersten Tag seiner Amtszeit wieder beizutreten, ist in diesem Kontext ein wertvoller erster Schritt. Aber auch darüber hinaus eröffnen die Werte und Positionen des 46. US-Präsidenten zumindest die Chance auf eine künftig wieder konstruktivere und engere transatlantische Zusammenarbeit.

Die Erneuerung einer starken Partnerschaft

Die transatlantischen Beziehungen sind für Deutschland wie für Europa insgesamt von hoher Bedeutung – sowohl historisch als auch politisch und gesellschaftlich. Donald Trump hat die transatlantischen Beziehungen in den letzten Jahren ohne Frage auf eine beispiellose Probe gestellt. Eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten ist aber weiterhin unser ureigenes Interesse. Die neue US-Administration verkörpert – insbesondere mit Blick auf die von Biden für zentrale Kabinettsposten nominierten Personen – Erfahrung und betont den Wert einer konstruktiven und multilateralen internationalen Zusammenarbeit.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die transatlantische Partnerschaft gemeinsam wieder stärken und unsere Zusammenarbeit intensivieren können. Wir können gemeinsame Positionen auf der internationalen Bühne überzeugender und wirkungsmächtiger vertreten. Das gilt zum einen für Themen wie den Klimawandel, zum anderen aber auch mit Blick auf das Erstarken von Rechtspopulismus und Autoritarismus. Insbesondere der Schutz und die Stärkung unserer Demokratien ist ein zentrales gemeinsames Anliegen. Schließlich handelt es sich bei den oben genannten innenpolitischen Herausforderungen der USA hinsichtlich der zunehmenden Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft um Herausforderungen, vor denen auch wir in Europa stehen – wenn auch teilweise in einem anderen Ausmaß.

Wir wollen und müssen diese Chance daher entschieden nutzen und die transatlantische Partnerschaft gemeinsam wieder lebendiger gestalten. Gleichzeitig bleibt es richtig, den europäischen Pfeiler innerhalb der transatlantischen Beziehungen zu stärken und in diesem Zuge der europäischen Souveränität Vortrieb zu leisten.

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ist eine solche Situation. Wir müssen klotzen und die Wirtschaft in einer Weise mit Finanzmitteln stützen, wie dies seit Bestehen der Bundesrepublik noch nie der Fall war. Nur so können wir die Zukunft der jüngeren Generationen sichern. Und nur so können wir den Weg zu einem nachhaltigen und sozialen Umbau unseres Wirtschaftssystems fortsetzen.

Die vergangenen Krisen müssen uns eine Lehre sein. Auf zögerliches Verhalten und falsche Sparmaßnahmen, wie etwa nach der Finanzkrise in Südeuropa, folgte meist ein Jahrzehnt der Stagnation und Perspektivlosigkeit. Das trifft besonders die jungen Menschen. Nur wenn die öffentliche Hand jetzt entschieden handelt und glaubwürdig Sicherheit ausstrahlt, können die Menschen wieder Hoffnung für die Zukunft entwickeln und damit auch neue Perspektiven für die Wirtschaft in Deutschland und Europa schaffen. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung ist deshalb volkswirtschaftlich notwendig, richtig und generationengerecht. Nicht Schulden belasten die Zukunft der kommenden Generationen, sondern mögliches Zögern und Zaudern.

Die Corona-Pandemie hat allen vor Augen geführt, wie wichtig ein verlässlicher und starker Sozialstaat ist. Etwa bei der Gesundheitsversorgung, beim Katastrophenschutz, bei der Abfederung der wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen und Bürger*innen, bei Wissenschaft, Bildung und Betreuung, bei der digitalen Infrastruktur usw.

Es ist eben kein Zufall, dass in den USA und in Großbritannien die Dinge schlechter gelaufen sind: Eine unfähige rechtspopulistische Führung, aber eben auch systematische Vernachlässigung staatlicher Handlungsfähigkeit und ein schwacher Sozialstaat führen zu schlimmen Konsequenzen für die Bevölkerung.

Im Kontrast dazu sind die Vorteile funktionierender staatlicher Leistungen, eines starken, reaktionsfähigen und sozialen Staates in den letzten Monaten deutlich geworden. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind stolz, dass es – trotz manch strittiger Weichenstellungen in der Vergangenheit – nicht zuletzt der SPD zu verdanken ist, dass wir noch über diese staatliche Handlungsfähigkeit verfügen.

Die Corona-Krise zeigt aber auch die teilweise schmerzlichen Schwächen der öffentlichen Infrastruktur: Über Jahrzehnte hinweg haben alle politischen Ebenen an notwendigen Investitionen gespart. Die heutige Wirtschaftskrise muss deshalb auch als Chance genutzt werden, durch groß angelegte Investitionsprogramme unser Land zu modernisieren und fit zu machen für die Zukunft. Die Weichenstellungen von heute sind die Zukunftsperspektiven der nächsten Generationen. Deshalb ist es wichtig, dass das aktuelle Konjunkturprogramm und die nächsten Bundeshaushalte einen Schwerpunkt auf Investitionen legen, mit denen die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und zu mehr Klimaschutz gestaltet werden kann. Im Zentrum müssen stehen: Ausbau und Verbesserungen bei Bildung, Forschung und Entwicklung, Verkehrsinfrastruktur, Digitalisierung, die Transformation hin zu einem klimaneutralen Industriemodell, die Energiewende und spürbarer Ausbau unseres Gesundheitswesens.

Die Bürgerinnen und Bürger treibt zu Recht die Frage um: Wie soll es nach der Krise weitergehen? Können wir uns all die Maßnahmen überhaupt leisten? Es wird sich in den nächsten Monaten entscheiden, ob wir diese Krise solidarisch meistern und die Lasten gerecht verteilen oder ob Sozialabbau und eine weitere Umverteilung von unten nach oben folgt. Die Gretchenfrage lautet also: „Wie hältst du´s mit der Finanzierung“?

Vertreter von CDU und CSU fordern wegen der kreditfinanzierten Maßnahmen von über 200 Milliarden Euro in der Bundesrepublik und der zusätzlichen über 750 Milliarden der EU schon jetzt eine schnelle Schuldentilgung und die Kürzung staatlicher Leistungen, am besten noch verbunden mit einer drastischen Senkung der Unternehmenssteuern. Deren These: Erst durch die Schuldenbremse und ausgeglichene Haushalte habe der Staat die Voraussetzungen für die Krisenmaßnahmen und aktuelle Neuverschuldung geschaffen und der Staat müsse daher schnell wieder dahin zurück. Richtig ist: Grundlage für die hohe Leistungsfähigkeit Deutschlands sind vielmehr das wirtschaftliche Wachstum und die guten Arbeitsmarktzahlen. Hätte es in den vergangenen Jahrzehnten mehr Investitionen in den oben genannten Bereichen gegeben, dann wären die Voraussetzungen, stark aus der Krise herauszukommen, noch besser und die sozialen Verwerfungen geringer gewesen. Die Lehre aus dieser Krise heißt also: Investiere rechtzeitig, dann hast du in der Not.

Dennoch wollen CDU und CSU eine schnelle Schuldentilgung bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen und vehement geforderten Steuersenkungen für Besserverdienende. Die Folgen dieser Politik wären volkswirtschaftlich verheerend und für den sozialen Zusammenhalt fatal, denn sie würden milliardenschwere Belastungen für den Haushalt bedeuten, die durch große Einschnitte in die soziale Sicherung und die öffentliche Infrastruktur kompensiert werden müssten. Das hieße konkret: Lohnkürzungen bei Beschäftigten, gerade auch in den sogenannten „systemrelevanten“ Berufen, eine weitere Verschiebung der dringend notwendigen Investitionen in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und eine Beschneidung des Sozialstaats, obwohl dieser zur Bewältigung dieser Krise so kraftvoll beigetragen hat. Die Aussagen führender Politiker von CDU und CSU weisen genau in die Richtung einer solchen Umverteilung von unten nach oben. Das aber würgt den konjunkturellen Motor ab, der so ins Stottern gerät; das gefährdet Arbeitsplätze und wäre gesellschaftlich völlig unverträglich. Die große Mehrheit der Ökonominnen und Ökonomen, darunter auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, empfiehlt daher eindringlich, weiterhin massiv in die Überwindung der Krise zu investieren und den konjunkturellen Aufschwung nicht kaputtzusparen.

Auch unsere Sozialversicherungssysteme geraten durch Kürzungen und Sparmaßnahmen nur in eine Spirale nach unten. Sie sind auf Dauer nur sicher, wenn die Beitrags- und Steuerfinanzierung von einer starken Konjunktur getragen wird.

Wir wollen, dass der deutsche und europäische Motor wieder auf Hochtouren läuft. Dazu wollen wir weiter in die Zukunft investieren und die Krise in Europa solidarisch überwinden. Dazu wollen wir größere Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels unternehmen. Und dazu wollen wir, dass die Automobilindustrie in Deutschland endlich wieder dahin kommt, wo sie hingehört: an die Weltspitze – mit klimaneutralen Fahrzeugen und Antriebstechnologien. Der VW Käfer des 21. Jahrhunderts sollte in deutschen Werken zu guten Tariflöhnen gefertigt werden. Nur so kann Deutschland in und gemeinsam mit Europa seinen Platz als weltweit führender Industriestandort bewahren. Für diese Transformation brauchen wir heute massive Investitionen, nicht zuletzt in die Energiewende. Sie werden sich auszahlen. Sie heute zu unterlassen, das wäre die echte Belastung für kommende Generationen.

Der von Finanzminister Olaf Scholz initiierte deutsch-französische Vorschlag für ein milliardenschweres europäisches Konjunkturprogramm war die Initialzündung für eine schlagkräftige gesamteuropäische Krisenbekämpfung. Das Konjunkturprogramm ist nicht nur die richtige solidarische Antwort auf die gemeinsame Krise, sondern auch im Interesse unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Unternehmen in Deutschland. In keinem Land hängen wirtschaftliche Prosperität und Arbeitsplätze so sehr von einem geeinten und starken Europa ab wie Deutschland.

Das vom Europäischen Rat Ende Juli 2020 beschlossene Corona-Hilfspaket (390 Mrd. Euro Zuschüsse, 360 Mrd. Euro Kredite für den Solidarischen Wiederaufbaufonds, weitere rund 1.000 Mrd. Euro für 2021-2027 zur Bewältigung gemeinsamer Aufgaben in der EU im Mehrjährigen EU-Finanzrahmen), ist Ergebnis unseres beherzten Vorschlags. Wir begrüßen und unterstützen die Finanzierung der erforderlichen Investitionen durch gemeinschaftliche EU-Anleihen. Die NextGenerationEU-Programme versetzen die Mitgliedstaten über Kredite in die Lage, ihre Reformpläne z. B. für den ökologischen und digitalen Wandel, die nationalen Energie- und Klimapläne sowie die Pläne für einen gerechten Übergang zu realisieren.

Am anderen Ende der politischen Ebene müssen wir dafür sorgen, die Investitionsfähigkeit der Kommunen dauerhaft zu stärken. Über 65 % der öffentlichen Investitionen werden in den Kommunen getätigt. Wir brauchen starke Kommunen, um aus dieser Krise herauszuwachsen. Es ist deshalb richtig, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Städte und Gemeinden mit einer höheren Übernahme von Sozialkosten und der Kompensation der Gewerbesteuerausfälle unterstützen. Die von Olaf Scholz vorgeschlagene Altschuldenregelung steht weiterhin auf unserer Agenda und hier sind jetzt vor allem die Bundesländer gefragt. Eine bloße Kompensation struktureller Defizite der Vergangenheit und auf Corona zurückzuführender Einnahmeeinbußen reicht allerdings nicht aus. Die Kommunen müssen über entsprechende Steuereinnahmen und Schuldenregelungen in die Lage versetzt werden, notwendige Zukunftsinvestitionen aus eigener Kraft zu finanzieren.

Bei der Finanzierung der Krisenlasten und der Zukunftsinvestitionen bauen wir auf zwei Säulen.

Kern einer nachhaltigen Staatsfinanzierung bleibt eine Besteuerung der Einkommen und Vermögen nach Leistungsfähigkeit. Zahlreiche Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Einkommens-, vor allem aber die Vermögensungleichheit seit den 2000er Jahren trotz dem vor Corona langen Aufschwung auf hohem Niveau verharrt. Eine zu große soziale Ungleichheit ist nicht nur ungerecht, sondern auch volkswirtschaftlich schädlich, da sie das Wachstum hemmt. Die Corona-Krise hat Ungleichheiten noch einmal verschärft.

Wir wollen deshalb eine gerechte Primärverteilung des Bruttoinlandsprodukts, also eine angemesse Entlohnung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Höhere Tariflöhne und gestärkte Tarifbindung, ein Ende sachgrundloser Befristungen und eine drastische Verringerung atypischer Beschäftigungsverhältnisse sowie ein Mindestlohn von mindestens 12 Euro sind hierzu richtige Maßnahmen. Bei der Sekundärverteilung kann nur eine leistungsgerechte Steuerbeteiligung aller dazu beitragen, dass Investitionen und Innovationen zu einem höheren Lebensstandard für alle führen. Dazu ist eine Vermögensteuer mit progressiver Ausgestaltung ebenso notwendig wie eine effektive Erbschaftsbesteuerung insbesondere der großen Betriebsvermögen sowie eine Bodenwertzuwachssteuer, um leistungslose Bodenwertsteigerungen an die Gesellschaft zurückzugeben. Auch wollen wir sämtliche Finanztransaktionen besteuern sowie Kapitaleinkünfte konsequent nach dem individuellen progressiven Einkommensteuersatz behandeln. Das von CDU/CSU und FDP geforderte Ende des Solidaritätszuschlages auch für die oberen zehn Prozent der Einkommensbeziehenden kann es nur dann geben, wenn dieser Personenkreis einen entsprechend höheren Beitrag in der Einkommensteuer leistet.

Die zweite Säule sind kreditfinanzierte Konjunkturpakete und Investitionen. Schulden sind dabei nicht per se gut, aber auch nicht per se schlecht. In der aktuellen Situation ist der Umfang der Maßnahmen der Situation angemessen und volkswirtschaftlich richtig. Die kreditfinanzierten Konjunkturprogramme bedeuten den Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen und sind die Steuereinnahmen von morgen. Bei einem Zinssatz der 30-jährigen Staatsanleihen von 0,0 % ist das nicht eine Belastung der kommenden Generationen, sondern Voraussetzung für deren positive Zukunft und eine moderne Infrastruktur. Wie wenig belastend ein höherer Schuldenstand ist und warum wir Schulden nicht schnell tilgen, sondern aus ihnen mit starken Wachstumsimpulsen herauswachsen müssen, zeigt die Finanzkrise vor 10 Jahren. Der Schuldenstand Deutschlands war damals um über 500 Mrd. Euro (siehe hier und hier) auf über 2 Billionen Euro und die Staatsverschuldungsquote auf über 80 % des BIP (Bruttoinlandsprodukt) gestiegen. Zehn Jahre später ist die Schuldenquote auf unter 60 % gefallen, aber der Schuldenstand nur um ca. 50 Mrd. € gesunken. Eine Volkswirtschaft und der Staat funktionieren ganz offensichtlich anders als ein Privathaushalt. Die mit Krediten finanzierten Konjunkturprogramme erhalten Arbeitsplätze, verringern damit die Sozialausgaben und sichern die staatlichen Einnahmen von morgen. Zudem ist der Staat ein institutionell „ewig“ lebender, guter Schuldner und braucht daher seine Schulden nicht sofort oder (zu) schnell zurückzuzahlen, sondern muss aus ihnen herauswachsen. In einer Krise wie der jetzigen sind zunächst nur Zinszahlungen zu bedienen. Sind die Zinsen Null, entsteht somit keine Belastung der laufenden Haushalte. Erst wenn die Zinsen wieder steigen, ist dies der Fall. Bei den gegenwärtigen Staatsanleihen dauert dies mindestens dreißig Jahre. Bis dahin sollte man die Schulden vorsichtig zurückführen – auf der sicheren Basis einer wieder gestärkten Konjunktur und ohne diese übermäßig zu belasten.

Die gegenwärtigen Fiskalregeln sind vor diesem Hintergrund zu eng gestrickt. In Deutschland wie auch in Europa brauchen wir deshalb Fiskalregeln, die neben der Ausgabenkontrolle den Staaten ausreichend Möglichkeiten für eine kurzfristige Stabilisierung der Gesamtwirtschaft und die langfristige Modernisierung des öffentlichen Kapitalstocks über Investitionen gibt. Die Ergänzung der deutschen Schuldenbremse und des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts um eine Goldene Regel für Investitionen wäre ein erster richtiger Schritt. Auch die Anhebung der Maastrichter Schuldenquote ist volkswirtschaftlich richtig. Wie tragfähig Staatsschulden sind, hängt u.a. vom Realzins und dem realen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ab. Der aktuelle Zinssatz liegt unter der Wachstumsrate. Bei einem Budgetdefizit von drei Prozent des BIP, einer Inflationsrate, die dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp zwei Prozent entspricht, und einer realen Wachstumsrate von einem Prozent, wäre nach Berechnung einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) eine Schuldenquote von bis zu 100 Prozent ohne Probleme verkraftbar – und damit notwendige Investitionen in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas finanzierbar. Inklusive eines „Sicherheitspuffers für unvorhergesehene Krisen“ ist eine Anhebung der Obergrenze von den willkürlichen 60 % auf 90 Prozent des BIP begründbar und sinnvoll.

Auch bedarf es eines Verfahrens zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte. Langfristig muss sich die europäische Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht an abstrakten Fiskal- und Wettbewerbsregeln orientieren, sondern das klare Ziel der Vollbeschäftigung sowie gleicher, guter und nachhaltiger Lebensverhältnisse für alle Europäer verfolgen.

Die Pandemie hat die Politik in Deutschland vor beispiellose Herausforderungen gestellt. Die Verantwortlichen in Kommunen, Ländern und Bundespolitik haben bislang gut bestanden. Auch und gerade die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat das getan, was die Bürger*innen von ihrer politischen Führung erwarten dürfen: verantwortungsvolles, gemeinsames, erfolgreiches Handeln.

Gleichzeitig bleiben die programmatischen Unterschiede zwischen den Parteien bestehen – ja, sie werden bei den weiteren anstehenden Entscheidungen zur Bewältigung der Krise und zu den Lehren aus der Pandemie noch schärfer hervortreten: Wir setzen nicht auf den neoliberalen Weg der Schwächung des Staates, eine die Wirtschaft strangulierende allzu rasche Schuldentilgung und der Privatisierung, sondern auf einen verlässlichen, starken und sozialen Staat, der Freiheit, wirtschaftliche Prosperität, Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten durch gute Rahmenbedingungen, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit schafft.

 

Das Papier als pdf-Datei zum Download gibt es hier.

 

Heute haben die Parteiführung und der Parteivorstand der SPD einstimmig beschlossen, mit Olaf Scholz als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl 2021 zu ziehen. Zu dieser Entscheidung erklärt Matthias Miersch als Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion:
„Wir befinden uns in einer der größten Krisen der Menschheit und gerade jetzt brauchen wir Politiker, die kühlen Kopf bewahren und entschieden handeln. Mit Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidat erhalten die Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, einen erfahrenen und zugleich besonnenen Politiker an die Spitze unseres Landes zu wählen. Olaf Scholz hat in den letzten Jahren bewiesen, dass er für einen Staat steht, der Zusammenhalt und Zukunft organisiert.“

Die globale Corona-Pandemie ist die wohl größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Bundesregierung hat daher ein beispielloses Maßnahmenpaket geschaffen, um die Ausbreitung von Corona einzudämmen und die wirtschaftlichen Folgen aufzufangen. Es wird dabei helfen, dass Deutschland diese Krise übersteht. Die letzten Wochen zeigen, dass diese Bundesregierung insgesamt gerade in schwierigen Zeiten gut arbeitet, nicht zuletzt auch wegen der geradlinigen und konzentrierten Arbeit von Vizekanzler Olaf Scholz und den sozialdemokratischen Ministerinnen und Ministern Franziska Giffey, Hubertus Heil, Christine Lambrecht, Heiko Maas und Svenja Schulze. Die vielen auf den Weg gebrachten Maßnahmen erreichen große Teile der Bevölkerung schnell und unbürokratisch. Als Sozialstaat fängt er in Not geratene Menschen in der Krise auf, seine Schutzschirme helfen den kleinen wie den großen Unternehmen. Weitere Maßnahmen insbesondere zum Schutz von Beschäftigten mit geringeren Einkommen und Erwerbslosen scheitern allerdings bislang an CDU und CSU.

Schon jetzt sehen wir aber auch, wie die Corona-Pandemie die bestehenden Ungleichheiten in Europa verschärft und zu einer existenziellen Herausforderung für die Europäische Union und den Euro-Raum wird. Eine Verschärfung der Krise, Massenarbeitslosigkeit und eine mögliche Renationalisierung gilt es zu verhindern. Wir wollen ein Europa, welches solidarisch zusammensteht. Dafür braucht es koordinierte nationale und europäische Hilfs- und Wachstumsprogramme. Die nun zu ergreifenden Maßnahmen werden die gesellschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre mitbestimmen. Wir alle stehen vor einer Richtungsentscheidung:

Entweder überlassen wir die Gesundheitsvorsorge weiterhin dem Markt, sparen Deutschlands und Europas Zukunft kaputt und wälzen die Kosten der Krise ab auf die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Dabei wird sich an den schlechten Arbeitsbedingungen von vielen, die gerade jetzt in der Krise den Laden am Laufen halten, von allein wenig ändern. Der Markt kümmert sich nicht um gute Löhne im Gesundheitsbereich oder im Einzelhandel. Und er sorgt auch nicht für Krisenzeiten vor.

Oder aber wir schlagen einen anderen Weg ein und setzen uns für einen starken und handlungsfähigen Staat als Motor gesellschaftlicher Entwicklung ein. Für eine Gesundheits- und Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand, die allen gleichermaßen zugänglich ist. Für eine koordinierte nationale und europäische Wirtschaftspolitik zur Überwindung der Krise und einen auf Nachhaltigkeit, Innovation und gute Beschäftigung ausgerichteten sozial-ökologischen Deal für Europa.

Wir als sozialdemokratische Abgeordnete sind der festen Überzeugung, dass es uns nur gelingt die Spaltung in Arm und Reich einzudämmen und Europa zusammenzuhalten, wenn wir dem Markt und der reinen Gewinnlogik klare Regeln und Grenzen setzen. Daher braucht es nun einen Mix aus kurzfristigen Ergänzungen der aktuellen Maßnahmen, einer koordinierten nationalen und europäischen Krisenpolitik und eines langfristigen Projekts für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa. In diesem Sinne bringen wir die folgenden Ideen und Forderungen als Parlamentarische Linke in die weitere politische Diskussion ein.


I. Was in Deutschland noch zu tun ist: Jetzt und auf lange Sicht

1.
Das Kurzarbeitergeld und der erleichterte Zugang zu Sozialleistungen helfen vielen Menschen durch die Krise. Insbesondere für Beschäftigte im Niedriglohnsektor, die zudem nicht von aufstockenden Tarifverträgen profitieren, reicht ein Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 bzw. 67 Prozent aber nicht aus. Wir fordern daher eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes für niedrigere Einkommen auf 80 bzw. 87 Prozent und mehr politischen Druck auf diejenigen Branchen, die bisher keine ergänzenden Tarifverträge zur Aufstockung des Kurzarbeitergeldes abgeschlossen haben. Wo Tarifverträge nicht reichen, müssen wir als Politik die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Wir befreien die Unternehmen von den Sozialabgaben, verpflichten sie aber, die Hälfte der Entlastung an ihre Beschäftigten weiterzugeben.

Die Lage vieler Beschäftigter in der Krise ist aber vor allem deswegen so schwierig, weil ihre Einkommen in Normalzeiten zu gering sind. Niedriglöhne sind nicht krisenfest. Ein Mindestlohn von 12 Euro und allgemeinverbindliche Tarifverträge sind ein erster Schritt, diesen Problemen zu begegnen. Dafür erleichtern wir die Allgemeinverbindlicherklärung durch die Abschaffung des Vetorechts der Arbeitgeber und schaffen zudem Anreize für die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch eine stärkere steuerrechtliche Privilegierung der Gewerkschaftsbeiträge.

2.
In der Krise zeigt sich, dass vor allem diejenigen unsere Gesellschaft am Laufen halten, die bislang mit niedrigen Löhnen und wenig Anerkennung zu kämpfen hatten. Die Beschäftigten in der Pflege und dem Gesundheitssektor, im Einzelhandel und in der Logistik, die Rettungskräfte und viele mehr gehen derzeit an ihre individuellen Grenzen, um uns auch in diesen Zeiten bestmöglich zu versorgen. Ihnen gebührt nicht nur unser Dank. Wir unterstützen nachdrücklich die Initiative von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Bonuszahlungen an die Beschäftigten steuer- und abgabenfrei zu stellen. Darüber hinaus braucht es jetzt zusätzlich zu steuerlichen Vergünstigungen und tariflichen Zusatzvereinbarungen bundesweit einheitliche Bonuszahlungen für diese Beschäftigten. Klar ist: Die Bonuszahlungen dürfen dringend gebotene tarifliche Zusatzvereinbarungen nicht ersetzen und müssen steuerfinanziert sein.

Wir belassen es aber nicht bei Zuschlägen in der Krise, wir werden sie auch anschließend nicht vergessen. Sie verdienen, wie alle anderen auch, gute Arbeitsbedingungen und gute Tariflöhne. Und wir fordern einen breiten Tarif „Soziale Arbeit/Dienste“ und eine bessere Unterstützung von gemeinnützigen Sozialverbänden wie Arbeiterwohlfahrt, Diakonie und andere.

3.
Menschen in der Grundsicherung, mit geringen Einkommen und kleiner Rente sind von der Corona-Krise ganz besonders betroffen. Preissteigerungen, Hamsterkäufe und andere Folgen setzen ihnen stark zu. Die von Hubertus Heil und Franziska Giffey schnell umgesetzte Anpassung der Grundsicherung und des Kinderzuschlags an die Erfordernisse der Krise helfen vielen Menschen. Ergänzend fordern wir mindestens für die Dauer der Krise eine Anhebung der Grundsicherungsleistungen in Form einer Pauschale von 100 Euro. Besonders Hilfsbedürftige sind Kinder in der Grundsicherung, stehen doch z.B. kostenfreies Mittagessen für Kinder in Kita und Schule oder Tafeln oftmals nicht mehr zur Verfügung. Familien mit Kindern sollte durch eine Erhöhung des Bildungs- und Teilhabepakets oder eine Erhöhung des Kindergeldes, das nicht auf die ALGII oder Grundsicherung angerechnet wird, unbürokratisch geholfen werden. Mit der bereits beschlossenen Grundrente hat die SPD gegenüber dem Koalitionspartner ein gutes Instrument für hilfebedürftige Rentnerinnen und Rentner durchgesetzt, das jetzt auch zwingend zum 1. Januar 2021 wirksam werden muss. Versuche aus der Fraktion der CDU/CSU, die getroffenen Vereinbarungen zu brechen, sind respektlos gegenüber den Menschen, die auch früher schon den Laden am Laufen gehalten haben. Das werden wir nicht hinnehmen.

4.
Zur Sicherung der sozialen Lage von Auszubildenden und Studierenden in der Corona-Krise benötigen wir weitergehende Maßnahmen. Wer akut in Not gerät, weil die Eltern in Kurzarbeit müssen oder weil der eigene Nebenjob verloren geht, muss schnell und vereinfacht Zugang zum BAföG oder einem Härtefallfonds bekommen. Ein Härtefallfonds kann gerade für internationale Studierende ein hilfreicher Ausweg sein, die sonst durchs Raster fallen würden. Zudem sollte der Finanzierungsnachweis für internationale Studierende vorübergehend ausgesetzt werden. Wenn die Studienhöchstdauer aufgrund der pandemiebedingten Umstände überschritten wird, muss eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unbürokratisch möglich sein. Das Sommersemester 2020 darf nicht auf die Förderhöchstdauer im BAföG angerechnet werden. Einkünfte aus systemrelevanten Nebenjobs sollen auch für die studentische Krankenversicherung anrechnungsfrei sein. Sowohl Studierende als auch Auszubildende sollen vereinfachten Zugang zum Wohngeld erhalten, wenn sie kein BAföG bekommen können.

Die Allianz für Aus- und Weiterbildung muss jetzt aktiviert werden, damit zwischen den Sozialpartnern konkrete Antworten für die Organisation der beruflichen Bildung gefunden werden können. Vorrang muss dabei die Sicherstellung des Ausbildungsjahres 2020 und 2021 haben. Ein überbetrieblicher Fonds zur Sicherstellung von Auszubildendenplätzen sollte als eine Möglichkeit mit Augenmaß und Verantwortung beraten werden.  Darüber hinaus muss gewährleistet werden, dass Auszubildende ihre Ausbildung in einem machbaren Zeitraum erfolgreich abschließen können.

5.
Wir brauchen sofort einen Rettungsschirm für Kommunen. Durch die massiven Einbrüche bei allen Steuerarten, allen voran der Gewerbesteuer, verschärft sich die finanzielle Lage vieler Kommunen gerade massiv. Gleichzeitig gibt es keine Handlungsspielräume, die Einnahmeverluste öffentlicher Einrichtungen auszugleichen, so dass viele kommunale Unternehmen existentiell bedroht sind und sogar relativ finanzstarke Kommunen in Schwierigkeiten geraten. Die Städte, Gemeinden und Kreise stellen unsere technische, soziale und kulturelle Infrastruktur bereit; sie tragen Kultur-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen, sichern den öffentliche Gesundheitsdienst und den öffentlichen Personennahverkehr. Damit all das auch in Zukunft möglich bleibt, ist über den weiterhin notwendigen Altschuldenfonds ein kommunaler Rettungsschirm unverzichtbar, denn die Krise trifft alle Kommunen.

Das Corona-Virus macht vor niemandem halt und dennoch sind die Herausforderungen unterschiedlich. Angefangen von der medizinischen Versorgung der gesamten Bevölkerung über die Herausforderungen in bestimmten Problemlagen wie etwa der Obdachlosigkeit, Gewalt gegen Frauen und familienunterstützenden Hilfen bis zur Schaffung guter Rahmenbedingungen für das Homeschooling, müssen die Kommunen handlungsfähig sein. Programme von Bund und Ländern sind zwingende Voraussetzung, allerdings: Vor Ort weiß man am besten, wo es brennt und wo geholfen werden muss. Um diese Handlungsfreiheit zu schaffen, gehört zu einem Rettungsschirm für Kommunen umgehend auch ein von Bund und Ländern getragener kommunaler Sozialfonds.

Überdies ist es nötig, das öffentliche System der Kommunalfinanzierung zu verbessern. Nicht nur in Krisenzeiten sind die Kommunen mit der Finanzierung vieler notwendiger Sozialaufgaben überfordert, zumal die Länder in vielen Fällen keine kommunale Finanzausstattung gewährleisten, die der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die Kommunen (Kommunalisierungsgrad) entspricht. Die Kommunen sind zentral für unser Gemeinweisen. Vor Ort leben und arbeiten wir, gehen einkaufen oder müssen zum Arzt, besuchen die Schule oder freuen uns auf einen Theaterbesuch und den abendlichen Sport in unserem Verein. Unser Ziel ist es, die öffentlichen Angebote vor Ort zu erhalten und perspektivisch auszubauen. Unsere Kommunen sind systemrelevant.

6.
Auch wenn die Sicherheitsmaßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus gelockert werden, gibt es Menschen mit beispielsweise Vorerkrankungen, die weiterhin unseren besonderen Schutz benötigen. Wir werden diejenigen, die für sich das Risiko als zu hoch einschätzen wieder am öffentlichen Leben teilzunehmen, bis zum Vorhandensein von Impfstoffen nach Kräften schützen und gegebenenfalls auch finanziell unterstützen. Die Mittel aus dem kommunalen Sozialfonds sollen auch für konkrete Unterstützung, Besuche, soziale und gesundheitliche Betreuung und Versorgung von gefährdeten Menschen zur Verfügung stehen.

7.
Im Vergleich zu anderen Ländern ist das deutsche Gesundheits- und Pflegesystem relativ krisenfest. Doch gerade in der Corona-Krise erleben wir, wie es an seine Grenzen stößt. Eine jahrzehntelange Politik der Durchökonomisierung und Privatisierung hat dazu geführt, dass das Gesundheits- und Pflegesystem unterversorgt ist. Angesichts dessen leisten die Beschäftigten Großartiges. Applaus alleine wird indes nicht reichen, um die strukturellen Probleme zu lösen. In den vergangenen Jahrzehnten wurden bei den Gesundheitsämtern der Länder und Kommunen massiv an Personal gespart, ein Drittel der Krankenhäuser wurde privatisiert und der Klinikbereich wird in hohem Maße aus Beitragsgeldern z.B. zur Bereitstellung von Intensivbetten unterstützt. Gesundheit darf aber keine Ware sein. Deswegen setzen wir uns auch in Zukunft ein für ein krisenfestes und gemeinwohlorientiertes Gesundheitssystem in öffentlicher Hand, die Ausweitung öffentlicher Beschäftigung im Pflege- und Gesundheitsbereich und die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung statt des bisherigen Zwei-Klassen-Systems in Kranken- und Pflegeversicherung. Außerdem darf es im Pflegebereich, der zu einer lukrativen Investition für Kapitalanleger geworden ist, keine Renditeversprechen geben. Das Personal im Pflegebereich muss endlich als Berufsgruppe eingestuft werden, die in einem systemrelevanten Bereich arbeitet. Diese Berufsgruppen, die nicht nur in der Krise an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen, brauchen eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

8.
Die Corona-Krise ist die größte Probe für unser Gemeinwesen seit dem Zweiten Weltkrieg. Es wird große Anstrengungen brauchen, diese Herausforderungen zu stemmen. Für uns gilt: Die Kosten der Krise dürfen nicht auf die große Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit geringen und mittleren Einkommen abgewälzt werden. Wo der Staat die Unternehmen mit staatlichen Hilfen unterstützt, braucht es gedeckelte Vorstandsbezüge und das Verbot von Dividendenausschüttungen. Schließlich stehen in einer sozialen Marktwirtschaft die Vorstände und die Anteilseigner an erster Stelle in der Mitverantwortung für den Erhalt des Unternehmens. Und das schließt die persönliche finanzielle Verantwortung mit ein. Wir müssen Geld in die Hand nehmen, um die Krise ohne eine Verschärfung der sozialen Spaltung zu überstehen und um die Wirtschaft durch große konjunkturpolitische Maßnahmen zu stimulieren. Zur Finanzierung der Krisenfolgen brauchen wir eine finanzielle Beteiligung der stärksten Schultern der Gesellschaft. Daher fordern wir eine Abgabe auf besonders hohe Vermögen von über 10 Millionen Euro, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine weitergehende Reform der Erbschaftssteuer.

9.
Schon jetzt ist absehbar, dass die Krisenauswirkungen über den Sommer hinaus fortbestehen werden. Es wird dauern, bis die Wirtschaft wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird und Instrumente wie das Kurzarbeitergeld aufgehoben werden können. Entsprechende Maßnahmen wie etwa das Kurzarbeitergeld oder die Schutzschirme zwischen VermieterInnen und MieterInnen müssen daher so lange wie nötig verlängert werden.


II. Eine koordinierte und solidarische europäische Krisenpolitik

10.
Ohne eine gemeinsame, solidarische Lösung der Corona-Krise steht die europäische Einigung auf dem Spiel. Die Kluft zwischen Arm und Reich innerhalb der Staaten und die Spaltung zwischen schwächeren und stärkeren Mitgliedsstaaten würden sich ohne eine Koordinierung der nationalen und der europäischen Maßnahmenpakete nur noch verschärfen. Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Austeritätspolitik ist keine Lösung und verschärft die Krise nur noch, wie wir am Beispiel des kollabierenden italienischen Gesundheitssystems sehen.

11.
Es braucht jetzt eine unbürokratische und schnelle Lösung, um die besonders von der Krise betroffenen Staaten mit Liquidität zu versorgen. Kurzfristig wird der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) bei der gemeinsamen Kapitalbeschaffung helfen. Mittelfristig fordern wir aber die Einführung von Coronabonds für die Deckung der Folgelasten der Corona-Pandemie in Form eines europäischen Solidarfonds. Aus diesem Solidarfonds können notwendige Konjunkturpakete zur Belebung der Wirtschaft nach der Corona-Krise finanziert werden.

12.
Diese Maßnahmen müssen an die sozial-ökologische Modernisierung Europas gekoppelt werden. Denn auch wenn angesichts von Corona andere Herausforderungen wie die Klimakrise, die zunehmende internationale Konkurrenz oder die ungleiche Entwicklung in Europa, in der öffentlichen Wahrnehmung derzeit in den Hintergrund treten, bleiben diese Probleme bestehen. Wir müssen sie deshalb genauso koordiniert angehen. Zur Belebung der Konjunktur nach Corona und angesichts der anderen Herausforderungen braucht es ein makroökonomisches koordiniertes Wachstums- und Innovationsprogramm für Europa. Dieses muss die Förderung von Zukunftsmärkten, von Forschung und technischer Innovation mit dem ökologischen Umbau der Wirtschaft, der Förderung von Beschäftigung und guten Arbeitsbedingungen sowie dem Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge verknüpfen. Damit von den Maßnahmen nicht allein die Unternehmen profitieren, müssen die ArbeitnehmerInnen unter anderem durch mehr Mitbestimmung strukturell gestärkt werden und politische Einflussmöglichkeiten ausgebaut werden. Denkverbote helfen uns nicht. Gerade in für die gesellschaftliche Entwicklung wichtigen Bereichen ist es denkbar, dass die öffentliche Hand im Gegenzug für aktive staatliche Förderung Unternehmensanteile erhält. So können die Umsetzung ökologischer und sozialer Standards in der Wirtschaft demokratisch kontrolliert und angesichts zunehmender globaler Konkurrenz heimische Standorte besser geschützt werden. Wir wollen aus dem Green Deal einen Social Green Deal machen.

13.
Wir machen uns jetzt auf den Weg dahin. Es muss endlich zu einem Ende des steuer- und sozialpolitischen Dumpingwettbewerbs in Europa kommen. In einem ersten Schritt braucht es eine Harmonisierung der Steuerpolitik, eine europäisch abgestimmte Tarifpolitik und die Einführung eines europäischen Arbeitslosenrückversicherungssystems. Auch so können Spaltung und Ungleichheit in Europa bekämpft werden und der europäischen Idee neues Leben eingehaucht werden.

14.
Wir wollen, dass es in Europa solidarisch zugeht. Deswegen ist es wichtig, dass sich die kriselnden Mitgliedsstaaten über den ESM mit Liquidität versorgen können – ohne unsinnige Sparvorgaben. Klar ist aber auch: Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache, denn es kommt jetzt darauf an, die sozialen Fliehkräfte in Europa einzudämmen. Zur Finanzierung der Coronabonds und der konjunkturpolitischen Maßnahmen fordern wir eine effiziente und nachhaltig wirksame europäische Transaktionssteuer und regen die Erhebung einer Abgabe auf besonders hohe Vermögen in Form eines europäischen Lastenausgleichs an. Außerdem müssen die restriktiven Fiskal- und Fördervorgaben innerhalb der europäischen Vertragswerke reformiert werden. Jedes Land braucht jetzt Spielraum, um in der Krise gegensteuern zu können.

15.
Europa ist nicht nur ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Als Wertegemeinschaft darf es jetzt nicht die Schwächsten der Schwachen vergessen. In den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln herrschen schlimmste Bedingungen, ein Ausbruch der Corona-Pandemie könnte gravierende Folgen haben. Im Koalitionsausschuss haben wir als SPD nach äußerst zähen Verhandlungen mit der CDU und CSU durchgesetzt, dass den besonders schutzbedürftigen Geflüchteten auf den griechischen Inseln so schnell und unbürokratisch wie möglich geholfen werden soll. Der deutsche Anteil der 1.600 Kinder, auf deren koordinierte Aufnahme sich eine europäische Koalition der Willigen geeinigt hat, muss schnellstmöglich in einer Koalition der Handelnden nach Deutschland kommen. Die Aufnahme dauert schon viel zu lange. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Gefahr durch die Corona-Pandemie müssen die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln evakuiert und annehmbare Aufnahmezentren auf dem Festland geschaffen werden. Wir stellen aber auch klar: Uns reicht das nicht! Insgesamt fordern wir die Bundesregierung auf, auch die Ratspräsidentschaft zu nutzen, um endlich zu langfristigen Lösungen für eine humane, solidarische und rechtssichere EU-Asylpolitik zu kommen. Es darf nicht sein, dass immer wieder auf Notsituationen reagiert wird. Stattdessen muss das Ziel sein, genau diese gar nicht erst entstehen zu lassen. Diesen Prozess werden wir aktiv begleiten.

16.
Entwicklungsländer werden von der Ausbreitung des Virus und dessen Auswirkungen besonders hart getroffen, vor allem weil hier in Großstädten und dichtbesiedelten Armenvierteln keine soziale Distanzierung möglich ist und Menschen oft keine Wahl haben nicht arbeiten zu gehen. Dazu kommt eine Bevölkerung, die zwar relativ jung ist, aber aufgrund von Mangelernährung und chronischen Krankheiten körperlich geschwächt ist. Es ist zu befürchten, dass diese Länder, in denen schon heute deutliche schlechtere hygienischen Verhältnisse herrschen und in denen die medizinische Versorgung unzureichend ist, auch beim Zugang zu künftigen Medikamenten und Impfstoffen vergessen werden. Daher müssen wir uns für einen gerechten weltweiten Zugang zu den Medikamenten und Impfstoffen gegen das Covid-19-Virus einsetzen und die ausreichende Produktion entsprechend sicherstellen. Und unsere Solidarität sollte sich indes nicht nur auf die medizinische Versorgung beschränken. Wir müssen auf nationaler und europäischer Ebene dringend erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um die Gesundheitssysteme in den Ländern des globalen Südens zu stärken und die wirtschaftlichen und sozialen Schäden abzumildern. In diesem Sinne unterstützen wir auch Schuldenerlasse und Schuldenerleichterungen für die ärmsten Länder.

17.
Das Corona-Virus ist in Windeseile zu einer weltweiten Herausforderung geworden und hat jeden Winkel dieser Welt erfasst. Kein Staat ist optimal auf dieses Szenario vorbereitet gewesen, umso unverzichtbarer wäre nun eine weltweite Kooperation. Doch stattdessen führt uns diese Krise klar vor Augen, dass die internationalen Institutionen derzeit in keiner guten Verfassung sind. Anstatt weltweit Maßnahmen aufeinander abzustimmen und die Verteilung von benötigten Gütern zu koordinieren, konkurrieren die einzelnen Staaten vielfach miteinander und treiben so beispielsweise die Preise für medizinische Schutzkleidung in die Höhe. Und auch wenn es in der Folge in mancher Hinsicht zu einer Deglobalisierung kommen wird, nicht nur bei der Herstellung von Medizinprodukten, sondern auch mit Blick auf weitverzweigte Liefer- und Fertigungsketten in der Industrie, wird unsere Welt auch in Zukunft eine globalisierte sein. Es wird hoffentlich eine Lehre aus dieser Corona-Krise sein, dass wir demokratische und handlungsfähige internationale Institutionen brauchen, die globale Herausforderungen wie den Klimawandel, die Spaltung in Arm und Reich, kriegerische Konflikte und eben auch Pandemien bewältigen können. Das ist das soziale und demokratische Angebot in einer sich neu aufstellenden Welt. Wir wollen die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dafür nutzen.

 

Das Papier als pdf-Datei zum Download gibt es hier.

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Die bereits seit Jahren existierende Situation von Geflüchteten im europäischen Raum, aber auch in den außereuropäischen Grenzgebieten, macht uns große Sorgen und ist nach humanitären und auch nach juristischen Maßstäben nicht hinnehmbar.

Nach der Eskalation an der griechischen Grenze musste eine schnelle und akute Lösung gefunden werden für die besonders schutzbedürftigen Menschen auf den griechischen Inseln.

Im Koalitionsausschuss haben wir als SPD nach äußerst zähen Verhandlungen mit der CDU und CSU durchgesetzt, dass so schnell und unbürokratisch wie möglich geholfen werden soll. Der deutsche Anteil der 1.600 Kinder, auf deren koordinierte Aufnahme sich eine europäische Koalition der Willigen geeinigt hat, muss schnellstmöglich in einer Koalition der Handelnden nach Deutschland kommen. Die Aufnahme dauert schon viel zu lange. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Gefahr durch die Corona-Pandemie müssen wir gemeinsam mit anderen Staaten wie Luxemburg mit dieser Evakuierung umgehend beginnen. Wir stellen aber auch klar:

Uns reicht das nicht!

Wir freuen uns über jedes Kind, das durch diesen Beschluss auf sicherem Wege nach Europa und zu uns nach Deutschland gelangen kann. Das muss auch, und in Hinblick auf schwer erkrankte Kinder, erst recht in Zeiten von Corona zügig umgesetzt werden. Ein negativer Corona-Test als Voraussetzung ist dabei ebenso unabdingbar wie Sicherheitsmaßnahmen nach der Ankunft in Deutschland.

Wir als SPD sehen uns in der Verantwortung, hilfebedürftigen Kindern, Frauen und Familien in größerem als bisher zugestandenem Maß zu helfen. Dabei darf es nicht alleinig um die Festlegung von Kontingenten gehen.

Wir fordern:

… unseren EU-Partner Griechenland auf, einen humanen Umgang mit Geflüchteten an den Tag zu legen und bestehendes Völkerrecht zu achten. Wir erkennen an, dass die griechische Zivilbevölkerung und Hilfsorganisationen in den letzten Jahren eine große Verantwortung übernommen haben bei der Aufnahme und Versorgung der sich in Griechenland aufhaltenden Schutzsuchenden. Die Nichteinhaltung der Genfer Flüchtlingskonventionen und eine generelle Aussetzung des Rechts auf Asyl sind aber genauso wenig akzeptabel wie Push-Backs und unverhältnismäßige Gewalt.

… die sofortige Evakuierung der Asylsuchenden von den griechischen Inseln in akzeptable Aufnahmezentren auf das griechische Festland und eine Verteilung der Schutzsuchenden im Rahmen einer europäischen Koalition der Willigen. Zahlreiche Kommunen in Deutschland haben ihre Bereitschaft zur Aufnahme bereits signalisiert. Auch im Rahmen des Anspruchs auf Familienzusammenführung müssen wir schneller als bisher Menschen aus prekären Situationen nach Deutschland holen – auch, wenn wir vorangehen.

…die Einhaltung des bestehenden Völkerrechts zu achten. Die Genfer Flüchtlingskonvention fordert, dass jede Person das Recht darauf hat, als Geflüchtete*r registriert zu werden. Des Weiteren besteht ein Recht auf Schutz vor Ausweisung. Die Genfer Flüchtlingskonvention darf nicht unterlaufen werden

…die EU auf, im Rahmen von Soforthilfe dafür zu sorgen, dass die Grenzsicherung im griechisch-türkischen Grenzgebiet wieder den rechtlichen Standards genügt und Rechtsbrüche wie Push-backs sofort beendet werden.

… die EU auf, die finanzielle und organisationale Hilfe für die von Flüchtlingsbewegungen besonders betroffenen Länder zu erhöhen. Es muss schnellstmöglich ein neues EU-Türkei-Abkommen ausverhandelt werden und Griechenland nachvollziehbar in der Lage sein, humanitäre Bedingungen für die Geflüchteten vorzuhalten. Für aufnahmebereite EU-Länder muss es einen unterstützenden finanziellen Bonus geben.

… die Bundesregierung auf, auch die Ratspräsidentschaft zu nutzen, um endlich zu langfristigen Lösungen für eine humane, solidarische und rechtssichere EU-Asylpolitik zu kommen. Es darf nicht sein, dass immer wieder auf Notsituationen reagiert wird. Stattdessen muss das Ziel sein, genau diese gar nicht erst entstehen zu lassen.

… unseren Koalitionspartner CDU und CSU auf, sich an ihre christlichen Werte zu erinnern und die Hilfe nicht auf 1.600 Kinder zu begrenzen, sondern hier für eine menschliche und langfristige Lösung offen zu sein.

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Nach dem SPD-Parteikonvent in Wolfsburg lauten viele Überschriften in den Medien: „SPD stimmt CETA zu“. Wir haben uns als PL seit vielen Monaten intensiv mit dem Abkommen beschäftigt und uns an vielen Stellen in die Debatte eingemischt. Deshalb möchten wir an dieser Stelle offene Fragen zum Konventsbeschluss der SPD beantworten.

Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA gestimmt, wie viele schreiben. Sie hat einen Antrag verabschiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt. Wir haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten sind. Wenn unsere Forderungen nicht erfüllt sind, kann die SPD CETA nicht zustimmen:

  • Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf Rechtstatbestände wie „faire und gerechte Behandlung“ und „indirekte Enteignung“ sichergestellt werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen und Bürgern stattfindet. Investorenschutz sollte somit auf die Diskriminierung gegenüber inländischen Investoren beschränkt werden.
  • Unter Bezugnahme auf das Cartagena-Protokoll und die Rechtsposition der EU im WTO-Verfahren über Hormonfleisch zwischen der EU und Nordamerika muss unmissverständlich und rechtsverbindlich erklärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Abkommens in keiner Weise vom primärrechtlich verankerten Vorsorgeprinzip (Art. 191 AEUV) abweicht.
  • Im Rahmen des Beratungsprozesses ist ein Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards zu entwickeln. Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ratifiziert werden. Der soziale Dialog ist effektiv auszugestalten, sodass das Verfahren zur Durchsetzung von Standards wirkungsvoll genug ist und durch Sanktionsmöglichkeiten ergänzt wird.
  • Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständlich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht vom Vertrag erfasst werden.

Im Konventsbeschluss wird außerdem ein Weg beschrieben, wie wir Verbesserungen am Vertrag über das parlamentarische Verfahren erreichen wollen: Es muss einen breiten Anhörungsprozess des Europäischen Parlaments mit der Zivilgesellschaft und den nationalen Parlamenten geben, der Lösungsansätze für alle umstrittenen Fragen entwickelt, bevor das Europäische Parlament über den Vertrag abstimmt und Teile des Abkommens vorläufig angewendet werden. In diesem Zusammenhang wird es intensive Auseinandersetzungen um die Fragen geben, welche Bereiche des Abkommens in die alleinige Zuständigkeit der EU fallen und damit vorläufig angewendet werden können. Die SPD legt sich im Beschluss fest: Unter anderem das hoch umstrittene Kapitel zum Investorenschutz fällt in nationale Zuständigkeit. Dieser Bereich kann also nur dann angewendet werden, wenn auch das letzte nationale Parlament der Europäischen Union zugestimmt hat.

Jetzt müssen wir beweisen, dass Europa in der Lage ist, neue Wege der Demokratie und Transparenz zu gehen. Wir hoffen sehr, dass wir für diesen Weg viele Mitstreiter in den anderen EU-Mitgliedstaaten finden können. Bereits gestern hat Sigmar Gabriel mit der Kanadischen Handelsministerin gestern noch Änderungen im Hinblick auf die Arbeitnehmerrechte für den Ministerrat angekündigt, die den DGB-Vorsitzenden Rainer Hoffmann dazu veranlasst haben, auf dem Konvent für die Zustimmung zum nun beschlossenen Antrag zu werben.

Beschluss des SPD-Parteikonvents zum Download:

 

 

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Die Debatte um Griechenland hat die Defizite der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion schonungslos offen gelegt. Fehlender Reformeifer, der Druck der Austeritätspolitik sowie ein akuter Mangel an wirtschaftspolitischer Koordination haben nicht nur den Menschen in Griechenland zugesetzt, sondern belasten die Europäische Union insgesamt. Gleichzeitig wird in der Flüchtlingspolitik offenbar: Die Mitgliedsstaaten fühlen sich alleine überfordert, sind aber gemeinsam nicht hinreichend handlungsfähig. So stehen plötzlich Errungenschaften Europas wie der Anspruch auf eine humane Flüchtlingspolitik oder offene Binnengrenzen zur Disposition. Die Parlamentarische Linke hatte angesichts der aktuellen Situation am 5. November dazu eingeladen, über die Zukunft des europäischen Projektes zu diskutieren.

Zu Gast waren Sprecher der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament, Udo Bullmann MdEP sowie Joachim Schuster MdEP, Berichterstatter zum Thema Freihandel. Wichtige Diskussionsbeiträge lieferten u.a. Gesine Schwan, ehemalige Präsidentin der Europa-Universität Viadrina und Heidemarie Wieczorek-Zeul, langjährige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Udo Bullmann stellte die Frage nach europäischer Politikfähigkeit oder angesichts der Banken- und Finanzkrise. Statt Dogmen von Kürzungen staatlicher Leistungen zu folgen, solle man als Produktionsfaktor nicht nur die Arbeitskosten berücksichtigen, sondern auch die Qualität und Bildung und Infrastruktur. Stattdessen sei die öffentliche Investitionsquote in Europa von 6,7% im Jahr 2007 auf inzwischen 1,9% gesunken. Joachim Schuster beklagte das zu späte Eingreifen der EU. Europapolitik solle von den Mitgliedsländern nicht als Teil der internationalen Politik verstanden werden, sondern auch als Teil der nationalen Politik. Er verwies darauf, dass allein durch Steuerschlupflöcher in Luxemburg der Union 70 Mrd. Euro Steuereinnahmen verloren gingen.

Tenor der Diskussionsbeiträge war entsprechend, dass man den aktuellen Herausforderungen nicht durch Sparhaushalte begegnen könne. Es sei unumgänglich, zusätzliche Mittel zu mobilisieren und zwar durch eine stärkere steuerliche Heranziehung hoher Einkommen, Kapitalerträge und Erbschaften. Gesine Schwan wies darauf hin, dass vagabundierendes Kapital keine Anlage finde und deshalb die Spekulation anheize, während denen das Geld fehle, die es für die Deckung des täglichen Bedarfes brauchen. Eine gemeinsame europäische Steuerpolitik sei deshalb dringend erforderlich mit dem Ziel, die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter aufgehen zu lassen.

Neben einer stärkeren Koordinierung der Steuer- und Finanzpolitik in Europa sei auch der Widerstand gegen die Zerstörung der Arbeitsmarktordnung in den Ländern Südeuropas wichtig, brachte Dierk Hirschel von ver.di in die Diskussion ein. Heidemarie Wieczorek-Zeul hob die Bedeutung des Euro und der Europäischen Union als historische Errungenschaft hervor. Es könne keine Alternative sein, auf dem eingeschlagenen Weg wieder zurück in die Nationalstaatlichkeit zu gehen. Die Veranstaltung endete mit einem Appell von Joachim Schuster, immer zu berücksichtigen, wie sich die eigenen Wünsche und Bedürfnisse aus der Perspektive der Partner darstellen und bewertet werden. Nur so könne ein Zerbrechen Europas verhindert werden.

 

 

Das Gespräch der Parlamentarischen Linken mit dem SPD-Europaabgeordneten und Vorsitzenden des Handelsausschusses im Europäischen Parlament Bernd Lange stieß auf großes Interesse. Abgeordnete und VertreterInnen kritischer NGOs befragten Bernd Lange zum aktuellen Stand der Diskussion im Europäischen Parlament und zur Diskussion innerhalb der sozialdemokratischen S&D-Fraktion.

Dabei wurde klar, dass ein schneller Abschluss der TTIP-Verhandlungen bis Ende 2015, wie ihn die Kanzlerin kürzlich gefordert hatte, gar nicht möglich ist. Angesichts der wachsenden Zahl kritischer Stimmen im US-Kongress und unklarer Mehrheitsverhältnisse bezüglich der Autorisierung des amerikanischen Präsidenten, das Freihandelsabkommen ausverhandelt einer einfachen Abstimmung zuzuführen, kommt der ursprüngliche Zeitplan immer mehr ins Kippen.

Bernd Lange äußerte darüber hinaus Zweifel an dem durch die alte EU-Kommission ausverhandelten CETA-Abkommens mit Kanada. Die S&D-Fraktion hat sich inzwischen klar gegen die darin vorgesehenen privaten Schiedsgerichte (ISDS) positioniert. Auch die Festschreibung der Liberalisierung im Dienstleistungssektor auf alle Zeit hinaus sei mit den sozialdemokratischen Abgeordneten nicht zu machen. Die Festschreibung von Sozial- und Arbeitsschutzstandards als verbindliche Standards müsse dagegen noch erfolgen.

Bernd Lange berichtete aus einem Gespräch mit EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Mittlerweile sei klar, dass man in entscheidenden Punkten unterschiedlicher Auffassung sei. Seiner Meinung nach gehe die Strategie der Kommission über TTIP zu reden und CETA unverändert zur Abstimmung zu stellen, nicht mehr auf. Das letzte Wort vor der vorläufigen Inkraftsetzung der Abkommen habe aber das Europäische Parlament.