Lasst uns kämpfen, Genossinnen und Genossen!

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Nachfolgend dokumentieren wir einen Aufruf aus den Reihen der Parteilinken in Hinblick auf den Basiskongress der Parteilinken am 12./13. Oktober 2018 sowie das SPD-Debattencamp am 10./11. November 2018:

Die SPD erlebt eine Welle des Zuspruchs, die Umfragewerte schießen in die Höhe. Mit ihren Themen bestimmt die SPD über Wochen die öffentliche Debatte. In Umfragen liegt sie vor der Union. – Diese Momentaufnahme aus dem Frühjahr 2017 zeigt: Die SPD wird zur Hoffnungsmaschine der Vielen, wenn sie Gerechtigkeit mutig und konkret, bei uns und in der Welt auf die Tagesordnung setzt und leidenschaftlich und überzeugend dafür eintritt.

Die Maschine ist auf der Strecke auch durch eigenes Verschulden ins Stocken geraten, das Wahlergebnis vor einem Jahr war desaströs. Wir wollen sie wieder ans Laufen kriegen, weil wir überzeugt sind: Es gibt eine solidarische Mehrheit im Land, die unsere Grundwerte teilt. Gerade auf sie setzen wir mit unserer Politik.

Aber wie soll das gehen, in der GroKo? Wir sind nicht zum Vergnügen in der GroKo, und halten sie auch nicht für eine wünschenswerte Option für unser Land, weil sie den produktiven Wettbewerb um unterschiedliche Politikkonzepte abschwächt und den Blick auf gesellschaftliche Verwerfungen verstellt. Die Mehrheit unserer Mitglieder hat demokratisch entschieden, dass wir unter schwierigen Voraussetzungen trotzdem die Koalition wagen sollen. Begeisterung empfand dabei niemand. Der solide Koalitionsvertrag mit der Union bietet die Chance, dass unsere Regierungsmitglieder die gute SPD-Politik umsetzen können, die wir zum Beispiel bei Themen wie bezahlbare Mieten, gute Kitas, Rückkehrrecht in Vollzeit, sozialer Arbeitsmarkt, sichere Rente, Klimaschutzgesetz, verbesserter Verbraucherschutz und solidarisches Europa durchgesetzt haben. Das ist gut, aber unser politischer Anspruch geht weit darüber hinaus! Handwerklich gut regieren reicht nicht für eine überzeugende Zukunftsvision und genügt vielen Menschen angesichts wachsender Verwerfungen in der Gesellschaft zu Recht nicht!

Wie fragil diese Koalition ist, zeigen die permanenten antieuropäischen und insgesamt das Demokratievertrauen belastenden Ausfälle der CSU, die auch von der Schwesterpartei, und auch von der Kanzlerin, nicht eingehegt werden. Aber was bleibt eigentlich als gemeinsamer Kern einer demokratischen Mitte-Regierung, wenn die eine Seite ganz bewusst den Grundkonsens der Gesellschaft, nämlich Demokratievertrauen, aufs Spiel setzt? Wir wollen stabile Verhältnisse, doch unser Geduldsfaden ist zum Zerreißen gespannt. Mit dem Wert der Stabilität wurden unsere Mitglieder um Vertrauen gebeten – doch weniger Stabilität als mit dieser Union gab es selten in einer deutschen Bundesregierung. Zur Halbzeit der Wahlperiode werden wir spätestens auf den Prüfstand stellen, wie viel der Koalitionsvertrag bis dahin wert war. Das öffentliche Urteil ist, trotz sachpolitischer Erfolge der SPD, die von den Querelen der CSU verdeckt werden, bislang verheerend.

Unsere dringlichste Aufgabe ist deshalb, dass alle wissen und spüren:

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind die, die verlässlich an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen einseitige Kapitalinteressen, deren neoliberale Ideologie und den Egoismus multinationaler Konzerne stehen. Wir treten ein für eine gerechte und sozial nachhaltige Politik gegen den Klimawandel. Und wir stellen uns entschieden gegen die rechtspopulistischen Lautsprecher des Hasses und der Spaltung. Deshalb legen wir uns mit den großen Widersachern einer solidarischen, freien und gerechten Gesellschaft an. Unser Ziel ist eine echte Politikalternative: Eine Regierung diesseits der Union und im Bündnis mit den vielen!

Die SPD muss durch profilierte eigene Zukunftsideen, durch verständliche Sprache und überzeugendes Handeln und Auftreten gerade derer, die Führungsverantwortung tragen, Vertrauen und eigene Stärke wiedergewinnen. Dafür brauchen wir Allianzen mit Gewerkschaften und den fortschrittlichen Kräften in Verbänden, Vereinen und Initiativen, sowie Gespräche mit progressiven Parteien, um mögliche Bündnisse auszuloten. Die Zeit des Taktierens, Lavierens und der Eitelkeiten muss vorbei sein.

Die SPD-Linke wird der Motor der Hoffnungsmaschine, der programmatischen und strategischen Erneuerung der SPD sein und die Impulse für progressive Reformen liefern. Wir stehen für Solidarität in unsicheren Zeiten. Ohne Solidarität gibt es keine Sicherheit. Wir werden klar Position beziehen, mit dem Mut, wenn nötig auch parteiinterne Kontroversen zu führen. Wir werden glaubwürdig und leidenschaftlich aufzeigen, wo die Gesellschaft gerechter werden muss, wo wir auf sozialdemokratische Erfolge stolz sein können, und wo wir solche schützen müssen gegen Kräfte, die sie abschaffen oder verwässern wollen. Wer versucht, es allen recht zu machen, wird es niemandem recht machen. Politik bedeutet, sich zu positionieren.

Inhaltlich bedeutet das für uns zum Beispiel:

  1. Eine Politik für ein starkes und soziales Europa, das Frieden und Wohlstand garantiert und „Europe united“ ernst meint. Das bedeutet gemeinsame Anstrengungen für eine gerechtere globale Verteilung von Reichtum. Uns wird es auf Dauer nur gut gehen, wenn sich die Lebensbedingungen weltweit verbessern. Dazu gehört die Beilegung von Konflikten, die Chance auf nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung sowie die koordinierte Zusammenarbeit zur Begrenzung und Bewältigung des Klimawandels. Die Agenda 2030-Ziele der UN fassen dabei ur-sozialdemokratische Ziele zusammen und können uns als Richtschnur dienen. Wir brauchen eine überzeugende Strategie für eine faire, nachhaltige globale Handels- und Landwirtschaftspolitik, für die Abschaffung von Kinder- sowie Sklavenarbeit und ein Ende der Ausbeutung von Frauen. Gerade am Umstand, dass Deutschland eine führende Exportnation ist, hängen viele unserer Arbeitsplätze. Trotzdem müssen wir auch im wohlverstandenen eigenen Interesse etwas gegen die Ungleichgewichte tun, die durch unsere massiven Exportüberschüsse bei unseren Handelspartnern entstehen. Sonst werden erneute Krisen auch unsere Stabilität erschüttern. Wo immer es möglich erscheint, werden wir eine vermittelnde Rolle zur Beilegung von Konflikten und zur weltweiten Abrüstung einnehmen. Wir wollen nicht, dass Waffen in Diktaturen und Kriegsgebiete geliefert werden. Eine solche Friedenspolitik trägt dazu bei, dass weniger Menschen aus ihren Heimatregionen fliehen müssen. Für die, die trotzdem auf Schutz im sicheren Europa angewiesen sind, setzen wir auf Asylverfahren binnen weniger Wochen und werben für den Vorschlag der freiwilligen dezentralen Aufnahme von anerkannten Flüchtlingen durch Kommunen, die dafür finanzielle Unterstützung erhalten.
  2. Eine Politik für Chancen, Gleichstellung und Integration. Die SPD muss wieder garantieren: Deine Herkunft ist nicht Dein Schicksal.
    Bildung entscheidet über Lebenschancen. Das kostet Geld – aber in die Zukunft von jungen Menschen zu investieren, ist besser, als auf ihre Kosten zu sparen. Gute Schulen machen Kinder stark und selbstbewusst, damit sie erfolgreich werden können, wenn sie sich anstrengen – unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Um echte Chancengleichheit zu erreichen, kämpfen wir für vollständige Gebührenfreiheit in der Bildung. Jetzt ist die Zeit für massive Investitionen in Bildung und Infrastruktur, so dass niemand sich abgehängt fühlt und möglichst viele teilhaben können.  Sozis führen Integrationsdebatten, indem sie sagen, was ist und eben auch, was schief läuft, ohne sich dabei irgendwelcher Ressentiments zu bedienen.
  3. Eine Politik für gute Arbeit in der digitalen Welt. Besonders auf die Jungen wird, etwa durch die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz und der Robotik, eine radikal veränderte Arbeitswelt zukommen. Linke Sozialdemokratie hat den Anspruch, diese zum Wohle der Vielen zu gestalten, denn Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt! Wie machen wir die Digitalisierung zur Chance für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer statt zum Profitinstrument der Konzerne? Welche Regeln braucht es auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft, um allen genügende Sicherheit zu geben? Welche Regeln braucht die Wirtschaft, damit z.B. die kleinen Unternehmen nicht ins Hintertreffen geraten? Wie soll das Verhältnis von Arbeit, Familie und Freizeit ausgestaltet sein? Wie reagieren wir auf die abnehmende Tarifbindung und stärken die abhängig Beschäftigten? Sicher ist: Unser Modell von guter Arbeit mit Tarifbindung, Arbeitnehmerrechten, starken Gewerkschaften und guten Löhnen ist so modern wie nie!
  4. Eine Politik für einen starken Staat, der allen ermöglicht, in Sicherheit zu leben; auch dadurch, dass er Ungleichheit aktiv bekämpft. Eine Sozialdemokratie mit Zukunft muss Antworten auf die klaffende Schere zwischen Arm und Reich geben. Dazu gibt es steuerpolitische Vorschläge für eine stärkere Beteiligung großer Einkommen und Vermögen, die zu messbarer Umverteilung führen und die Schere schließen. Wir wollen eine leistungsfähige öffentliche Daseinsvorsorge mit Investitionen in Bildung, Gesundheit und Pflege, Wohnungsbau, Klimaschutz, Verkehr und digitale Infrastruktur. Die „Schwarze Null“, die zum Fetisch geworden war, ersetzt kein politisches Konzept und ist auch nicht generationengerecht. Wir wollen einen Staat, der gegen Angsträume und Verwahrlosung angeht, der Sicherheit gewährleistet und gleichzeitig Freiheit schützt. Eine Politik, die Gesellschaft gestaltet statt nur verwaltet. Deshalb wollen wir Reformideen wie eine eigenständige Kindergrundsicherung, die deutliche Erhöhung der Mindestlöhne, einen neuen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose mit Mindestlohn und Sozialversicherungspflicht (eben das „solidarische Grundeinkommen“), ein sanktionsfreies Existenzminimum, eine deutlich bessere Unterstützung für Alleinerziehende, gebührenfreie qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung und die Einführung eines Chancenkontos für lebenslange Weiterqualifizierung bündeln, um in Abkehr vom bisherigen Hartz-IV-System eine fortschrittliche Sozialstaatsdebatte zu führen.
  5. Eine Strategie gegen Hass und Rechtspopulismus, die sich weder rhetorisch noch inhaltlich an einen vermeintlichen Mainstream anlehnt und schon gar nicht die Narrative der Demokratiefeinde in die Argumentation demokratischer Parteien übernimmt. Das ist gerade aktueller denn je.

Es gibt Grund für Zukunftsoptimismus: Die über 50.000 Neumitglieder, die in den vergangenen eineinhalb Jahren in unsere Partei gefunden haben. Sie sind eingetreten, weil sie mit der SPD Hoffnung auf ein besseres Morgen verbinden. Die SPD ist für sie die Chance, daran mitzuwirken, dass nichts so bleiben muss wie es ist!

Mitmachen, Ideen einbringen und offen diskutieren: Erst unsere Mitglieder machen die Partei sichtbar und erlebbar. Dabei gilt: Auch wer ein Amt in der Partei hat, ist Teil dieser Mitgliederbasis. Wir lassen uns nicht in „Oben“ und „Unten“ auseinanderdividieren. Die neuen digitalen Beteiligungsmöglichkeiten und das Debattencamp Mitte November sind gute erste Schritte. Sie beleben die Diskussionen über den Kurs der SPD auch auf anderen Ebenen. Die Mitglieder wollen stärker mitreden. Auch wir, die wir uns als Motoren der SPD-Erneuerung begreifen, kommen am Wochenende auf einem Basiskongress der Parteilinken in Berlin zusammen, um unsere Vorschläge zu formulieren. Zusammen gestalten wir die linke Volkspartei der Zukunft und mit ihr das Land, in dem wir leben wollen. Unsere SPD der Zukunft sehen wir als Ort, an dem die spannenden Debatten um die besten Ideen zur gerechten Gestaltung der Zukunft fair und eindringlich geführt werden. Gemeinsam auf allen Ebenen – vom Ortsvereinsvorsitzenden bis zur Bundesministerin – führen wir mit Leidenschaft die Zukunftsdebatten und zeigen, dass wir es ernst meinen mit dem Kümmern, ernst meinen mit mehr Gerechtigkeit, und dass wir standhaft an der Verwirklichung unserer Ideale arbeiten. Nur mit diesem Vertrauen werden wir es schaffen, den progressiven politischen Gestaltungs­auf­trag sowie die Bündnis- und Mehrheitsfähigkeit mit fortschrittlichen Demokratinnen und Demokraten wiederzuerlangen. Natascha Kohnen und Thorsten Schäfer-Gümbel zeigen gerade in Bayern und in Hessen, wie ehrlicher Wahlkampf um die besseren Lösungen der Probleme bei Bildung, Wohnen und Mobilität geht.

Der schwedische Sozialdemokrat Olof Palme hat den Satz geprägt: Politik heißt etwas wollen. Und es ist doch ganz klar: Wir Sozialdemokratinnen und ‑demokraten müssen ändern wollen, was nicht gerecht ist! Verhältnisse sind veränderbar!

Leni Breymaier, MdB, Vorsitzende der SPD Baden-Württemberg, Mitglied des SPD-Präsidiums
Daniela Kolbe, MdB, Generalsekretärin der SPD Sachsen, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Kevin Kühnert, Juso-Bundesvorsitzender
Matthias Miersch, MdB, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender der Parlamentarischen Linken, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Michael Müller, MdA, Vorsitzender der SPD Berlin, Mitglied des SPD-Parteivorstands
Gesine Schwan, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission
Ralf Stegner, MdL, stellv. SPD-Bundesvorsitzender, Vorsitzender der SPD Schleswig-Holstein sowie SPD-Fraktionsvorsitzender SH
Johanna Uekermann, stellv. Vorsitzende der SPD Bayern, Mitglied des SPD-Präsidiums